3. And who am I? – Der kinematographische Modus des Gossip

3.1. Gossip als Organisation sozialer Ordnung und Wahrnehmung
3.2. Easy A – „A is for awesome!“
3.2.1. Unsichtbare Omnipräsenz
3.2.2. Kollektive Interaktion
3.2.3. Fabelhafte Subjektivität
3.2.4. Das Gefühl von Zugehörigkeit durch Teilhabe
3.2.5. Die Inszenierung des Sprechakts
3.2.6. Gossip Images
3.3. „A match well made, a job well done.“ – Emma
3.3.1. Die Inszenierung der freien indirekten Rede
3.3.2. Emma als kinematographische Figuration einer Gemeinschaft
3.3.3. Sprechen, Schwafeln, Schweigen
3.3.4. Der Tanz als Inszenierungsmodus sozialer Ordnung
3.3.5. Die Affektdramaturgie partizipierender Beobachtung
3.3.6. Normierende Omnipräsenz
3.4. Eine Frage der Perspektive


Im vorangegangenen Kapitel habe ich untersucht, wie die Relationen zwischen feministischer Theorie und gegenwärtigem Woman’s Film zu fassen sind und auf welche Weise sich dieser durch jene konstituiert. Durch die Filmanalysen wurde deutlich, inwiefern die Theorien selbst zum Gegenstand der Filme werden und im Modus des „Undoing Gender“ eine genrespezifische Affektdramaturgie hervorbringen, die sich als Zuschauerinnengefühl des empowerment realisiert. Zudem habe ich gezeigt, inwiefern die Inszenierungen in den Hauptfiguren angelegt sind. Die Protagonistinnen entfalten sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Stereotyp als Leinwand-Typus und konstitiuieren so eine emanzipatorische Erfahrungsmodalität, durch welche die Heterogenität von Differenzen reflektiert wird. Letztendlich gründet das Emanzipatorische der analysierten Filme in einer in der Erfahrung aufrechtzuerhaltenden Vielschichtigkeit von Identitäts- und Subjektkonzepten, die sich mit dem Erfolg der Protagonistinnen am Ende in einem euphorischen ‚Wir‘ entlädt./span>

Anhand von Legally BLonde (USA 2001), Erin Brockovich (USA 2000) und Miss Congeniality (USA 2000) habe ich herausgearbeitet, inwiefern sich die emanzipatorische Erfahrungsmodalität über einen Einstellungswechsel seitens der Zuschauerin gegenüber der Hauptfigur, die selbst unverändert bleibt, vollzieht. Anhand von Easy A (USA 2010) und Emma (UK/USA 1996) werde ich nun untersuchen, ob diese Affektdramaturgie in weiteren Filmen zu finden ist, die mit einem weiblichen Publikum verbunden werden und unter welchen Bedingungen sich diese dem gegenwärtigen Woman’s Film zuordnen lassen. Zum einen ähneln sich die Filme, denn auch in Easy A und Emma geht es explizit um die Rolle von Frauen und um Kategorisierungsprozesse. Zudem transformiert sich die Haltung der Zuschauerin auch dieser Filme in der Dauer der Rezeption. Zum anderen unterscheiden sie sich doch erheblich von den bereits analysierten Produktionen, da sich ebenfalls die Hauptfiguren selbst im Laufe der Filme verändern. Die gesamte Inszenierungsweise scheint sich mit dem Fortgang der Handlungen in Easy A und Emma zu wandeln.

Ziel dieses Kapitels ist es, zu verdeutlichen, inwiefern der gegenwärtige Woman’s Film zugleich Forschungsgegenstand und Forschungsansatz meiner Arbeit darstellt und in diesem Sinne als eine genrespezifische Erfahrungsmodalität konzipierbar ist, die variiert und dennoch einer bestimmten Logik verpflichtet ist. Dazu werde ich einen Perspektivwechsel vornehmen, der sich durch die aus den bisherigen Analysen gewonnenen Erkenntnisse aufdrängt. In diesem Kapitel werde ich gewissermaßen die andere Seite der für das Genre des gegenwärtigen Woman’s Film so wesentlichen Kategorisierungsprozesse in den Blick nehmen. Während zuvor die jeweilige Protagonistin als Bezugspunkt von Urteilen im Zentrum der Betrachtung stand, sollen nun die Zu- und Einordnungsprozesse selbst in den Vordergrund der Analysen rücken.

Nachdem ich in Kapitel 2 herausgearbeitet habe, inwiefern sich die Hauptfigur zunächst als Objekt von Kritik konstituiert und dann zunehmend zum Subjekt wird, werde ich im Folgenden untersuchen, welche Rolle den Urteilen und den Urteilenden in der ästhetischen Erfahrung des gegenwärtigen Woman’s Film zukommt. Durch die Analysen hat sich gezeigt, dass neben den Beurteilten das Urteilen selbst und damit auch die Urteilenden elementar für die Konstitution der genrespezifischen Erfahrungsmodalität sind. Alle drei Protagonistinnen, Elle Woods, Erin Brockovich und Gracie Hart, sind nicht ohne einen bewertenden Blick auf sie, d.h. ohne die (Ver- bzw. Vorver-)Urteilenden denkbar. Der Einstellungswechsel der Zuschauerin, der sich auch im Laufe dieser Filme vollzieht, gründet, wie gezeigt, in Affektdramaturgien, die sich entlang von Zu- und Einordnungsprozessen im kinematographischen Modus des „Undoing Gender“ entfalten.

Mit dem Fokus auf die innerdiegetischen und außerfilmischen Kategorisierungsprozesse und deren Akteurinnen stellt dieses Kapitel gewissermaßen einen komplementären Teil zu Kapitel 2 dar. Einerseits konkretisiert es das Genre des gegenwärtigen Woman’s Film, andererseits legt es seine Vielschichtigkeit offen. Es verdeutlicht, inwiefern die Erfahrungsmodalität als dynamische Struktur zu verstehen ist.

Easy A und Emma scheinen mir besonders geeignet, um die Erfahrungsmodalität des gegenwärtigen Woman’s Film im Anschluss an Kapitel 2 zu diskutieren. Kategorisierungsprozesse sind auch für die Affektdramaturgien dieser Filme wesentlich. Und auch mit ihnen vollzieht sich in der Dauer der Rezeption eine Transformation der Zuschauerin hinsichtlich der Protagonistin oder vielmehr hinsichtlich des gesamten Films, wenngleich sich diese eben anders als zuvor mit einer sich wandelnden Inszenierung der Hauptfigur vollzieht. Nichtsdestoweniger ist die Affektdramaturgie in der Konstitution von Kollektivität angelegt, die sich als ein spezifisches Verhältnis zwischen einem ‚Ich‘ und einem ‚Wir‘ zeigt. Zu guter Letzt drehen sich die Filme ebenfalls um eine weibliche Hauptfigur und waren äußerst erfolgreich beim Publikum. Während die bisher diskutierten Filme Kategorisierungsprozesse reflektieren, bei denen die Re/präsentation und Formation eines ‚Ich‘ im Vordergrund steht, das sich in einem ‚Wir‘ entlädt, setzen Easy A und Emma ein ‚Wir‘ von vornherein voraus, das umgekehrt mit einem ‚Ich‘ konfrontiert wird. Dies hat mit der Inszenierung der Urteile zu tun. Bemerkenswerterweise finden sich in den Filmen – anders als bei den zuvor analysierten – keine expliziten, an Urteile geknüpften Handlungsorte wie der Gerichtssaal oder der Schönheitswettbewerb. Zu- und Einordnungsprozesse erstrecken sich über den gesamten diegetischen Raum und sind vor allem in der Formierung von Gemeinschaften zu lokalisieren. In Easy A und Emma wird permanent und überall über passende oder unpassende Beziehungen geurteilt, über Anwesende geflüstert, über abwesende Menschen lauthals gelästert und gemeinsam gelacht und gekreischt. Es wird vermutet, spekuliert, fabuliert, kommentiert, beobachtet, getratscht. Das Hörensagen bestimmt die Inszenierungen, die Rede spielt für die sich in diesen Filmen vollziehende Erfahrungsmodalität eine entscheidende Rolle. Kategorisierungsprozesse tragen sich in Easy A und Emma an überschaubaren Orten zu bzw. vielmehr konstituieren sie spezifische Raumzeitverhältnisse, wie ich noch ausführen werde.

Aus diesem Grund stütze ich mich in den Analysen dieser Filme auf Gossip (zu Deutsch: Klatsch). Als soziales Ordnungs- und Wahrnehmungsprinzip dient mir Gossip als Kategorie dazu, die Konstitution von Kollektivität und Gemeinschaft als bestimmte Raumzeitkonstellation und somit die genrespezifische Erfahrungsmodalität herauszuarbeiten. Umgekehrt erlaubt mir Gossip zu fragen, inwiefern bestimmte Raumzeitkonstellationen Kollektivität hervorbringen. In Form des performativen Sprechakts definiert Gossip Machtverhältnisse und entscheidet über In- und Exklusion, wenn nicht gar über die Konstitution von Subjekten. Er strukturiert Sozialität qua Kategorisierungen. Wer was über wen weiterträgt, bestimmt den Kreis der Teilhabenden und die Summe der Ausgeschlossenen. Gossip stellt eine kollektive Kommunikationspraxis dar, die sowohl als soziales Phänomen als auch ästhetische Ausdrucksfiguration meinen Analysen dienen soll. Denn nicht zuletzt zeichnen sich die Filme durch pausenloses Gerede aus. Außerdem bezeichnet Gossip eine Kommunikationspraxis, die in der Regel Frauen zugeschrieben und dementsprechend abgewertet wird. Gossip wird meist als bloßes Geschwätz abgetan – im Gegensatz zur (männlichen) Rede oder dem geschriebenen Wort (vgl. auch Siegel 2010, 39–42; Spacks 1985, 16ff). „‚When people talk about the details of daily lives, it is gossip; when they write about it, it is literature‘“, zitiert Esther Fritsch Deborah Tannen (Tannen, zit. nach Fritsch 2004, 9).

In den 1980er Jahren konstatierte die feministische Theorie noch, dass Frauen von Männern und Theorie, d.h. von Sprache, zum Schweigen gebracht werden. Und noch immer gilt es meines Erachtens, Frauen eine Stimme zu verschaffen und subjektive Erfahrungen und Perspektiven artikulierbar zu machen. Nichtsdestoweniger scheint sich die Kinoästhetik diesbezüglich verändert zu haben. Während die Protagonistinnen des klassischen Woman’s Film meist sprachlos sind und schweigen, dominiert die weibliche Stimme den gegenwärtigen Woman’s Film.[43]

Während Gossip bzw. Tratsch die Kommunikationspraxis bezeichnet, stellt das Gerücht den Inhalt der Weitergabe dar. Beides lässt sich allerdings ebenso wenig getrennt voneinander betrachten wie das Urteil von dem Urteilsobjekt und den Urteilenden. Zum einen teilt sich ein Gerücht mittels Gossip mit, zum anderen wird es selbst Teil des Gossip, wenn die Teilhabenden zum Objekt des Hörensagens werden („Von ihr habe ich gehört, dass…“). Akt, Partizipierende und Botschaft – Mitteilen, Mitteilende und Mitteilung – fallen zusammen (vgl. auch Engell 2008, 327f.). In diesem Sinne ging es in Kapitel 2 um das Gerücht, nämlich um Bilder und Vorstellungen von Weiblichkeit und um die Kategorie ‚Frau‘, wohingegen in diesem Kapitel die Kommunikationspraxis und die Kategorisierungsprozesse in den Blick genommen werden sollen.

3.1. Gossip als Organisation sozialer Ordnung
und Wahrnehmung

Gossip ist „ein Prozeß, dem bei der Ausbildung und Erhaltung von Identitäten und sozialen Strukturen eine Schlüsselrolle zukommen kann und der als soziales Regulativ fungiert“, schreibt Esther Fritsch (Fritsch 2004, 9). Gossip wirkt affirmativ wie subversiv. Normen werden beständig bestätigt und verschoben. „In der Kolportage von Gerüchten werden“, so Hans-Joachim Neubauer, „elementare soziale Normen entworfen und kontrolliert“ und die Weitergabe des Hörensagens diene der stetigen Vergewisserung über den Bestand dieser Normen (Neubauer 1998, 187). Deshalb ist Gossip als performativer Sprechakt geeignet, „die Schaltstelle von Norm und Abweichung, von Macht und Marginalität“ zu bezeichnen (ebd., 161). Die Bezugsquelle des „man sagt“ unterstützt diese Funktion, da es ein Kollektiv immer schon voraussetzt, das sich in der Weitergabe erst konstituiert. Was vorher eine anonyme Masse von Mitwissenden war (ob die Mitteilung bereits bekannt war oder nicht, ist unerheblich), formiert sich durch den Austausch zu einer intimen Konstellation von Vertrauten (vgl. Siegel 2006, 74; sowie Spacks 1982, 29f.). Die Untersuchung von Gossip dient somit der Analyse sozialer und politischer Gesellschaftsstrukturen.

Ob Gossip Machtverhältnisse eher fortschreibt oder unterläuft, Gerüchte positive oder negative Konsequenzen haben, wird unterschiedlich bewertet und hängt vom jeweiligen Kontext ab. Als Fama (der römischen Gottheit des Ruhms und des Gerüchts, oftmals mit Flügeln und Trompete dargestellt) bzw. Pheme (in der griechischen Mythologie) birgt das Gerücht ambivalente Züge. Es kann sowohl den Ruhm als auch den Niedergang einer Person beschwören, sowohl glorifizierende als auch destruktive Wirkung bergen.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wird Gossip überwiegend in seinen negativen Auswirkungen, als Rufmord oder Lüge, beschrieben. Nur wenige Ansätze zielen darauf ab, die positive Seite hervorzuheben und Gossip als subversiv, etwa als Möglichkeit eines Selbstentwurfs, zu beschreiben; zudem gibt es nur eine geringe Anzahl ästhetisch orientierter Arbeiten zu diesem Thema. So untersucht beispielsweise Fritsch Gossip als eine Form postkolonialen weiblichen Schreibens (Fritsch 2004) und Marc Siegel betrachtet Klatsch als eine Praxis des Fabulierens, um sich performativ und eigenständig in der Welt zu verorten (Siegel 2006) sowie als eine ästhetisch-politische Praxis im Umgang mit Filmbildern (Siegel 2010). Andere Theoretikerinnen betonen trotz der Argumente für die emanzipatorischen Aspekte von Gossip dessen autoritäre, normative Seite, wie etwa Casey Finch und Peter Bowen, die sich in ihrer Studie von Jane Austens Roman Emma ebenfalls Gossip in seiner ästhetischen Erscheinung widmen:

We remain unconvinced, however, that gossip has any such subversive or deconstructive effect. For gossip, so far from pitting itself against authoritative norms, always operates to reinforce them. (Finch/Bowen 1990, 16)

Patricia Meyer Spacks erkennt in Gossip wiederum insbesondere ein subversives Potential zur Solidarisierung von Frauen. Siegel hebt hinsichtlich des viel zitierten Buchs Gossip von Spacks(Spacks 1985) hervor:

Klatsch war nach Spacks besonders für die von Bedeutung, die historisch über beschränkte Mittel zur Vermittlung ihrer Wünsche, Hoffnungen und Interessen oder zur Herstellung eines Wissens über ihre eigenen Geschichten verfügten. Aus diesem Grund beschreibt Spacks Klatsch als ‚eine Ressource für die Unterdrückten […], ein zentrales Mittel des Selbstausdrucks, eine zentrale Form der Solidarität’. (Siegel 2006, 74)

Spacks unterscheidet allerdings zwischen ‚gutem‘ und ‚schlechtem‘ Gossip, um die (weibliche) Lust am Tratschen zu erklären (vgl. Spacks 1985, 4f.; Spacks 1982, 26f.;): zwischen „idle talk“, sinnlosem Gerede, und „serious gossip“, durch welchen Intimität entstehe. Diese Unterscheidung leuchtet zwar aufgrund der den Gossip inhärenten mehrdeutigen Dimensionen ein, doch vernachlässigt sie bei dieser Definition den eigenen Standpunkt. Ob es um ‚sinnloses Gerede‘ oder ‚ernsten Gossip‘ geht, ist eine Frage der Perspektive. Und genau diese gilt es in dem jeweiligen Kontext in den Blick zu nehmen. Wenn es darum geht, ob Gossip eher destruktive oder glorifizierende Wirkung zeigt, ist zudem zu unterscheiden, ob es um die Produktion eines Gerüchts geht, das beispielsweise einen Skandal verursacht, oder um die Kommunikationspraxis, d.h. vor allem um die an der Zirkulation Beteiligten, durch die Sozialität hervorgebracht und strukturiert wird.

Obgleich Fragen nach den Bedingungen und Formen von Solidarisierung auch den Hintergrund meiner Arbeit bilden und ich hinsichtlich dessen auch die Bedeutung und Funktion des gegenwärtigen Woman’s Film untersuche, möchte ich an dieser Stelle betonen, dass es mir in den Filmanalysen vor allem um das Spannungsverhältnis von Identität, Subjektivität und Kollektivität geht. Gossip als kinematographischen Modus zu untersuchen, setzt für mich nicht voraus, dass es um ein ‚Wir‘ geht, das im Zweifelsfall mit Unterdrückten bzw. Frauen gleichgesetzt wird. In dieser Arbeit gilt es nämlich nicht, mittels der Analysen der Forderung nach mehr Partizipation von Frauen Nachdruck zu verleihen, obgleich es selbstverständlich von Bedeutung ist, dass es sich bei Gossip um eine weibliche Kommunikationspraxis handelt. In der Auseinandersetzung mit Gossip geht es mir weniger um ein Plädoyer des Mitbestimmens (eines ‚Wir‘ in Form von Frauen), sondern vielmehr um die Analyse allgemeiner Machtgestaltung (z.B. durch Frauen). Damit bleibt die Frage nach dem Subjekt der mit Gossip verbundenen Solidarisierungsmöglichkeit vorerst offen. Anders gesagt: Gerade die Frage nach der Art und Weise, wie sich welche Subjekte durch Gossip konstituieren, bildet den roten Faden der Analysen. In diesem Kapitel geht es mir darum zu untersuchen, wie sich Gossip als kinematographische Inszenierung von Sozialität darstellt, bzw. wie sich diese durch jene Kommunikationspraxis herausbildet und welche Subjektkonzepte dadurch denkbar werden. D.h. ich reflektiere Gossip sowohl als soziales als auch ästhetisches Phänomen. Dabei stütze ich mich insbesondere auf die Überlegungen von Finch und Bowen und von Siegel.

Mit seiner Dissertation A Gossip of Images. Hollywood Star Images and Queer Counterpublics (Siegel 2010) liefert Siegel eine umfangreiche Studie zur Rolle und Funktion von Gossip für die Rezeption und den Gebrauch audiovisueller Bilder innerhalb einer queeren Filmkultur. Damit reflektiert er als einer der wenigen Gossip aus medientheoretischer Perspektive.[44] Siegel bezieht sich allerdings vornehmlich auf Gossip als spezifische Umgangsform mit Film und hebt mit seiner Bezeichnung gossip images auf eine bestimmte Denkfigur ab (vgl. Siegel 2013, 30ff.). Gossip of images begreift er als „a mode of image circulation“ (ebd., 9), durch den neue Bilder entstehen und eine bestimmte Form von Denken. Mit Blick auf die queere Filmkultur erklärt er:

„[…] gossip functions as a structure – or logic – of thought that informs much of queer film culture, from film- and videomaking, to film viewing, film-informed performance, club culture, and every day conversation. (Siegel 2013, 8)

Mir geht es hingegen in erster Linie darum, mittels Gossip die ästhetische Erfahrung der Filme nachvollziehbar zu machen. Die soziale Kinosituation ist für meine Arbeit zweitrangig. Gossip dient mir vor allem als ästhetische Analysekategorie. Im Anschluss an Siegel möchte ich betonen, dass Gossip sowohl destruktive als auch konstruktive Effekte haben kann und dass es gerade die Grenzübergänge zwischen Inklusion–Exklusion, Rezeption–Produktion, Öffentlichkeit–Privatheit, Affirmation–Subversion sind, die Gossip als soziales Phänomen und als politische Praxis interessant machen kann und die Kategorie für gesellschaftliche sowie genretheoretische und ästhetische Analysen produktiv werden lässt (vgl. ebd., 32).

Begreift man Gossip als performativen Sprechakt, der sich in einem kinematographischen Modus, also im Film aktualisiert, stellt sich die Frage, wie sich das Hörensagen zu einem Sehenzeigen verhält. Was bedeutet es, wenn wir die Sprechenden im Film zugleich sehen? Welche Bedeutung haben Mitteilungen, die unhörbar oder ungehört bleiben? Wie verhält sich die Omnipräsenz von Gossip zu der Unsichtbarkeit des Gerüchts? Inwiefern stellen Kinobilder eine Mitteilung dar? Lässt sich Film selbst als Gossip beschreiben? Welche Erfahrungsmodalität konstituiert sich in einem kinematographischen Modus des Gossip? Und wie lässt sich ein Zuschauerinnengefühl mittels einer an diesem Modus ausgerichteten Affektdramaturgie qualifizieren?

Wie Siegel hervorhebt, erkennt Gilles Deleuze eine hohe Affinität zwischen Gossip und Film (vgl. Siegel 2013, 50). Für Deleuze ist das Gerücht aufgrund seiner sprachlichen sowie raumzeitlichen Gestaltung, d.h. seines sozialen Ordnungscharakters und seiner rasenden Ausbreitung, geradezu privilegiert, um in audiovisueller Form zu erscheinen. Wie Gossip organisiere der Film durch die Montage Raum- und Zeitverhältnisse, in denen sich eine zwischen Menschen entspannende Rede ereignet. Aus diesem Grund könne man Film als gossiptypischen Sprechakt bezeichnen, der soziale Interaktionen und Hierarchien sichtbar macht (vgl. Deleuze 1997, 289ff).

In der Auseinandersetzung mit Gossip geht es Deleuze um eine grundsätzliche Bestimmung des Filmbildes. In der spezifischen Verbindung von Ton und Bild stelle das Gerücht selbst ein kinematographisches Objekt dar (Deleuze 1997, 292; vgl. Siegel 2010, 93f.). Nach Deleuze macht der kinematographische Sprechakt „etwas im Bild sichtbar“. In seinem Kino-Buch Das Zeit-Bild (Deleuze 1997) erklärt er,dass ein entscheidender Punkt beim Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm sei, dass der Sprechakt nun nicht nur endlich gehört, sondern zudem zeitgleich gesehen wurde (ebd., 289–300). Er schreibt:

Er [der Tonfilm] macht […] etwas im Bild sichtbar, das im Stummfilm nicht offen erschien‘ […]. Durch die Synchronisierung von Ton und Bild muss das Gesprochene natürlich nicht mehr als Schriftbild getrennt vom visuellen Bild sprechender Personen gelesen werden. In diesem Sinne wurde die gehörte Sprache im Tonfilm ein Bestandteil des visuellen Bildes. (Ebd., 299)

Das Gehörte wird zugleich gesehen. Das Gesehene wird hörbar. Es ist nicht mehr zu trennen zwischen der Rede (die zuvor im Stummfilm als Schriftbild erschien) und den Bildern der Redenden (in die die Zwischentitel eingefügt waren). Der hörbare Sprechakt wird nicht nur sichtbar, sondern die gesehen Rede zugleich auch hörbar. Hörensagen und Sehenzeigen fallen demnach zusammen und synchronisieren sich (vgl. auch Siegel 2010, 2013).

Die hiermit skizzierte ästhetische, politische und soziale Dimension von Gossip lässt sich hervorragend auf Emma und Easy A beziehen. Aufgrund ihrer Sujets, der extremen Verbalität und der Raumzeitgestaltung drängt sich Gossip als Analysezugang geradezu auf. Darüber hinaus sind diese Filme umgekehrt prädestiniert dafür, Gossip als filmtheoretische Analysekategorie zu denken und allgemein in seiner sozialen Ordnungsfunktion zu reflektieren. Anhand verschiedener Aspekte der gossiptypischen Wahrnehmungsorganisation werde ich in den Filmanalysen herausarbeiten, auf welche Weise sich der kinematographische Modus des Gossip in der ästhetischen Erfahrung realisiert. Während Emma etwa eine hermetisch abgeschlossene Welt entwirft, in der sich eine Gemeinschaft durch Prozesse von In- und Exklusion konstituiert, reflektiert Easy A die normativen Rahmenbedingungen, unter denen sich subjektive Perspektiven entfalten. In Emma rückt die kontrollierende Funktion von Gossip in den Vordergrund, wohingegen sich in Easy A Gossip auch als emanzipatorisch darstellt, als Möglichkeit eines performativen Selbstentwurfs. Beide Filme gestalten Gossip als genuine (weibliche) Weltwahrnehmung und zielen auf ein Zuschauerinnengefühl ab, das ein bestimmtes Verhältnis von ‚Ich‘ und ‚Wir‘ voraussetzt, welches sich, wie ich im Laufe der Analysen ausführen werde, als subjektive Kollektivität bezeichnen lässt. Subjektive Kollektivität meint in diesem Zusammenhang eine Form von Kollektivität, die nicht von einer vorhandenen Gruppe herrührt, sondern die auf ein bestimmtes Weltverhältnis eines Subjekts deutet.

3.2. Easy A – „A is for awesome!“

Impliziert Gossip immer schon eine Kollektivität, die sich durch die subjektive Kommunikationspraxis des (Mit)teilens konstituiert und geht man davon aus, dass der kinematographische Modus des Gossip dem gegenwärtigen Woman’s Film wesentlich ist, stellt sich die Frage, auf welche Weise dieses Genre in der ästhetischen Erfahrung eine Form von subjektiver Kollektivität hervorbringt. Die für Gossip typische Bezugsquelle des „man sagt“, was immer schon ein Kollektiv voraussetzt, durchdringt jedenfalls die Diegesen und die Affektdramaturgien von Easy A und Emma. Und nicht zuletzt werden die Filme durch eine Vielzahl von an den Kategorisierungsprozessen beteiligten Figuren bestimmt.

In Easy A ebenso wie in Emma fungiert Gossip als konkreter Gegenstand. Der Film setzt sich dezidiert mit der Funktion und Wirkung dieser Kommunikationspraxis auseinander und lässt sich im Grunde selbst als eine ästhetische Form des Gossip definieren. Diese selbstreflexive Inszenierungsweise springt ähnlich ins Auge wie bei Miss Congeniality, wo die theoretische Auseinandersetzung hinsichtlich des Sprechakts ebenso explizit stattfindet. Auch bei Easy A scheint es, als wolle der Film ein theoretisches Problem systematisch veranschaulichen. Auf welche Weise sich dies in der ästhetischen Erfahrung niederschlägt und inwiefern die Protagonistin ebenso als Figuration eines komplexen Theoriegebildes erscheint und in dieser Eigenschaft am Ende des Films triumphiert, sind wichtige Fragen meiner Analyse. So interessiert mich auch hier, wie sich die Beziehungen zwischen Theorie und Film, Zuschauerin und Protagonistin sowie zwischen Feminismus und ästhetischer Erfahrung anhand von Easy A gestalten.

Easy A gliedert sich in fünf Kapitel, welche die Entstehung und Verbreitung von Gossip als Gratwanderung zwischen Diffamierung und Emanzipation sowie Affirmation und Subversion erfahrbar machen. In seiner durchkomponierten Affektdramaturgie stellt sich der Film als lehrbuchhafte theoretische Auseinandersetzung mit Gossip dar. Nach einem Prolog (0:00:00–0:01:51), der die gossiptypische Perspektive der zwischen objektiver und subjektiver Erzählposition changierenden Ich-Instanz einführt und der auf die trotz ihrer Allgegenwärtigkeit augenscheinliche Unsichtbarkeit von Gerüchten verweist, folgt das erste Kapitel (0:01:51–0:08:13), („The shudder inducing and clichéd, however totally false account of how I lost my virginity to a guy at a community college“), das sich der Entstehung des Gerüchts und dessen unkontrollierbaren Auswuchses widmet. Kapitel 2 (0:08:13–0:24:15) („The accelerated velocity of terminological inexactitude“) vermittelt die Omnipräsenz von Gerüchten sowie deren Konstitution von Zugehörigkeitsgefühlen durch Teilhabe. Mit Kapitel 3 (0:24:15–0:46:35) („A lady’s choice and a gentleman’s agreement“) wandelt sich die Dynamik des Gerüchts, das Objekt wird zum Subjekt, der Sprechakt zum Selbstentwurf. In Kapitel 4 (0:46:35–1:18:33) („How I, Olive Pendaghast, went from assumed trollop to an actual home wrecker“) wird die destruktive Seite von Gossip in den Blick genommen und mit dem letzten Kapitel (1:18:33–1:28:22) („Not with a fizzle but with a bang“) die Auflösung des Gerüchts eingeleitet.

Fragen nach der Perspektive und der Deutungshoheit, nach der Rolle von Realität und Fiktionalität, nach dem Verhältnis von Massenmedien und Privatheit sowie von Subjektivität und Kollektivität strukturieren die sich mit diesem Film im kinematographischen Modus des Gossip aktualisierende Erfahrungsmodalität und bestimmen somit die ästhetische Erfahrung der Zuschauerin, das Zuschauerinnengefühl. Easy A macht erfahrbar, welche Wirkmacht Sprache hat und auf welche Weise Gossip als kollektive Praxis subjektiver Imagination ein Gefühl von Zugehörigkeit durch Teilhabe schafft. Das bedeutet, dass der Film aufzeigt, inwiefern Gossip eine Kommunikationspraxis darstellt, die eine Kollektivität voraussetzt, welche sich jedoch im Moment des Mitteilens erst konstituiert. Indem die Einzelnen Gerüchte weitertragen, mit anderen die Gerüchte teilen und sich anderen mitteilen, entsteht eine Form von Teilhabe, die als Zugehörigkeit empfunden wird, obwohl es keine faktische Basis (etwa im Sinne einer originären Identität oder einer gemeinsamen Erfahrung) dafür gibt. Durch den Film wird ersichtlich, dass es dieser ohnehin nicht bedarf. Easy A reflektiert, wie Gossip als kollektive Imaginationspraxis einen sozialen Raum strukturiert und alternative Subjektkonzepte ermöglicht. Dabei zeigt der Film auf, dass Gossip nicht unbedingt und immer ein widerständiges Potential besitzt, das sich gegen oppressive Strukturen wendet – worauf Siegel (trotz seiner Hervorhebung der positiven Aspekte von Gossip) grundsätzlich hinweist:

[…], praising the imaginative work accomplished by the circulation of gossip does not necessarily mean relegating minoritarian gossipers to purely imaginary resistance against conventional or oppressive social structures. Rather, it can allow us to see how a collective process of speculation and imagining could be intricately bound up with the production of new and/or alternative social contexts – however fleeting or provisional – within which new possibilities for the self can be tested out in practice. (Siegel 2010, 36)

Das Produktive in der ästhetischen Analyse von Gossip liegt also vor allem in dem, was Deleuze mit der Sichtbarmachung von Sprechakten formuliert, nämlich in der Reflexion von Sozialität, wie provisorisch und flüchtig diese auch sein mag. Im Folgenden werde ich näher untersuchen, inwiefern 1.) die entlang des kinematographischen Modus des Gossip sich entfaltende Affektdramaturgie von Easy A zu fassen ist, wie 2.) sich die Inszenierung von Zugehörigkeit durch Teilhabe als Erfahrungsmodalität in einem Zuschauerinnengefühl subjektiver Kollektivität realisiert und 3.) welche Rolle die Wirkmacht von Gossip dabei spielt.

3.2.1. Unsichtbare Omnipräsenz

Easy A handelt von einer Teenagerin, die sich gewissermaßen selbst ihren Ruf ruiniert und schließlich das Internet nutzt, um der Gerüchteproduktion ein Ende zu bereiten und die Autorinnenschaft, d.h. agency wiederzugewinnen. Die Protagonistin, Olive Penderghast (gespielt von Emma Stone, die mit Easy A ihren Durchbruch erlangte), ist Schülerin eines Community Colleges und vor allem eines: ‚Jungfrau‘. Indem sie mehr oder weniger unfreiwillig ihrer besten Freundin Rhiannon vorgaukelt, sie habe ihr ‚erstes Mal‘ erlebt, wird sie über Nacht zum Star und Mittelpunkt der Schule. Zuvor hat sie sich als unsichtbar und anonym erlebt. Doch zunehmend gerät das Gerücht außer Kontrolle und droht, sie letztendlich gänzlich zu zerstören. Denn das Bild wandelt sich, wenn man so will, von der ‚hurenden Heiligen‘ zur ‚heiligen Hure‘. Die Figur changiert zwischen Ruhm und Rufmord.

Dieser Wandel geht mit einer Veränderung der kinematographischen Perspektivierung einher. Während der Film das Geschehen zunächst aus subjektiver Sicht inszeniert, entfaltet sich in der Dauer der Rezeption zunehmend ein objektiver Blick. Ob der Film eine persönliche Geschichte erzählt oder fiktive ‚Fakten‘ zusammenträgt, ist mit dem Fortgang der Handlung immer schwieriger zu entscheiden. Die subjektive und die objektive Perspektive fallen zusammen und lassen sich nicht auseinanderdividieren.

Durch den Perspektivwechsel verändert sich allerdings nicht das Verhältnis der Zuschauerin zur Protagonistin. Die Zuschauerinnen sind nämlich von Anfang an auf Olives Seite, d.h. sie teilen sich gewissermaßen die Perspektive mit ihr, selbst wenn sie zugleich auf sie blicken. Dies lässt sich anhand der raumzeitlichen Konstellationen erläutern, die ich – angelehnt an die Ausführungen zu Gossip sowie vom Film ausgehend – als „unsichtbare Omnipräsenz“, „kollektive Interaktion“ und „fabelhafte Subjektivität“ bezeichne. Der kinematographische Perspektivwechsel gründet also in der Inszenierung verschiedener Raum-Zeit-Beziehungen. Diese lösen sich allerdings nicht unbedingt gegenseitig ab und erscheinen nacheinander, sondern sie durchdringen sich vielmehr gegenseitig und werden dadurch unterschiedlich wahrnehmbar.

Gleich zu Beginn etabliert Easy A die gossiptypische Perspektive der Ununterscheidbarkeit zwischen Subjektivität und Objektivität. Mit dem Prolog realisieren sich Bilder, die nicht klar zu erkennen geben, wer eigentlich spricht und durch welche Augen wir in das Geschehen eingeführt werden. Zunächst skizziert eine kurze Bildermontage (Straßenkreuzung, US-amerikanische Flagge, Orange, Orangenplantage, Ortsschild, Highschool-Bus) Ort und Zeit (Sommer in einer kalifornischen Kleinstadt). Anschließend führt eine Kamera in einer mäandernden Bewegung über einen Pausenhof, vorbei an Schülerinnen und Schülern, über den Rasen, zwischen Bäumen hindurch. Dazu hören wir eine weibliche voice over: „I used to be anonymous. If Google Earth was a guy, he couldn’t find me if I was dressed up as a 10-story building.“

Wer diese ‚Ich‘-Instanz bzw. die Hauptfigur des Films ist, bleibt – ähnlich wie in Legally Blonde – bis zum Ende des Prologs unklar. Denn aufgrund des Blickwinkels und der alle Hindernisse (Bäume, Menschen, Steine) durchschreitenden Bewegung kann die Perspektive des Films weder als point of view einer diegetischen Handlungsfigur definiert werden[45], noch aufgrund der expliziten Körperlichkeit der Kamera als eine allgemeingültige, objektive Sicht.[46] Obgleich die Perspektive sich nicht sofort mit einer einzelnen Figur verbinden lässt, etabliert sie durch die Stimmeund die gestalthafte Kamera ein erzählendes Subjekt. Wenn wir hören, dass das ‚Ich‘ anonym gewesen war und dass, wenn Google Earth ein Typ gewesen wäre, es nicht hätte finden können, auch nicht in Form eines zehnstöckigen Gebäudes, gleiten wir mit der Erzählerin über den Schulhof. Obwohl die Autorinnenschaft der Protagonistin eine Allgegenwärtigkeit annimmt, bleibt das ‚Ich‘, wie die voice over hervorhebt, unsichtbar. Dies wird in der Inszenierung hervorgehoben, indem wir als Zuschauerin die Ich-Perspektive einnehmen und uns entsprechend ein Blick auf ‚uns selbst‘, auf das ‚Ich‘, verwehrt bleibt (den eigenen Körper kann man nicht sehen, denn man ist Körper und hat einen Körper). Was die voice over als diegetischen Hintergrund einer narrativen Figur einführt, wird in der Rezeption veranschaulicht und erfahrbar: Das ‚Ich‘ ist omnipräsent, doch unsichtbar.

Ungesehen mäandert es bzw. mäandern wir durch die Menschengrüppchen. Vorbei an herumstehenden Schülerinnen und Schülern fährt die Kamera auf eine Teenagerin zu, die, wie von einem Hofstaat begleitet, umgeben von einem Mädchenschwarm erhobenen Hauptes aufs Bild zuschreitet. In diesem Moment, so meint man kurz, etabliert der Film einen point of view, indem er den mäandernden Blick mit einer Blickenden, der Teenagerin, zusammenführt. Doch der Eindruck täuscht. Nicht jene stolze Figur übernimmt die Hauptrolle des Films, sondern eine Schülerin, die kurz darauf von eben dieser umgerempelt wird, sodass sie mit all ihren Unterlagen zu Boden stürzt. In diesem Moment verkündet die voice over, die gesamte Wahrheit zu erzählen, „starting now“. In dem Zusammenprall der beiden Schülerinnen realisiert sich die für das Gerücht typische Spannung zwischen Omnipräsenz und gleichzeitiger Unsichtbarkeit in einer diegetischen Figur und wird für die Zuschauerin reflexiv erfahrbar. Wortwörtlich wird man auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die schwerelose Unsichtbarkeit, die den Gang über den Schulhof zunächst ausgezeichnet hat, wird mit der diegetischen Realität konfrontiert, die Freiheit des Erzählens mit der Gewalt der Fakten. Die objektiv-subjektive Dimension von Gossip realisiert sich in der Hauptfigur, Olive Pendaghast.

Doch kurz nach dem Zusammenstoß, der die Protagonistin wie die Zuschauerin gleichermaßen aufrüttelt, wechselt erneut die Perspektive und damit auch die Haltung der Zuschauerin zum Film. Nun erscheint die Protagonistin vor einer Webcam und präsentiert das nun folgende Geschehen und auch den zuvor gesehenen Prolog als Teil ihres Webcasts. Somit wird die etablierte Perspektive als die einer fassbaren Ich-Erzählerin definiert und als Rückblick einer Teenagerin, d.h. ob die Geschichte aus einer eindeutig subjektiven Perspektive, nämlich aus jener der Teenagerin, erzählt wird, oder ob es sich nicht doch um eine objektive, allgemeine, also für jedermann gleich wahrnehmbare Wirklichkeit handelt, bleibt offen. Diese Dimensionen fallen immer wieder zusammen und lassen sich nicht letztgültig auseinanderdividieren. Der Film inszeniert ein Wechselspiel dieser Perspektiven und verdeutlich damit das unauflösbare Verhältnis zwischen subjektiver und objektiver Sicht, individueller und allgemeiner Wahrnehmung.

3.2.2. Kollektive Interaktion

Mit der ersten Sequenz vollzieht sich eine Bewegung von einer allgemeinen Dimension einer Ich-Erzählerin über eine individuelle Frauenfigur zu der Protagonistin. Der unsichtbar, wahrnehmende und wahrnehmbare Körper eines ‚Ich‘ bzw. eines ‚Es‘ oder einer ‚Sie‘ formiert sich über eine dritte Person, ‚sie‘ (die Teenagerin mit Gefolge), wieder zu einer ersten Person (‚ich‘), die kurz vor Ende des Prologs – mit der Etablierung der Webcam – als diegetische Figur (‚sie‘) für die Zuschauerin sichtbar wird. Mit der Bewegung entfaltet sich die für den Film grundlegende Spannung zwischen einer subjektiven und einer objektiven Perspektive. Auch auf der Handlungsebene ist die Protagonistin zunächst für ihr Umfeld unsichtbar und wird keines Blickes gewürdigt, wie sie sogar selbst erklärt. Als jemand unter vielen ist sie anonym, als Sprechinstanz unsichtbar und doch allgegenwärtig.

Um aus dieser Anonymität herauszutreten und jemand zu sein (to be somebody[47]), bringt sich Olive – mehr oder weniger freiwillig – ins Gespräch, so erzählt sie es, d.h. der Film, der zugleich ihr Webcast ist. Olive wird zum zentralen Bezugspunkt der Highschool, als sie ihrer Freundin Rhiannon (die sich vornehmlich über ihre Brüste definiert) aus leichtem Druck und heiterem Himmel vorgaukelt, ihr ‚erstes Mal‘ erlebt zu haben. Um nicht mit Rhiannon und ihrer Familie am Wochenende campen gehen zu müssen, gibt Olive vor, ein Date zu haben. Aus dieser Ausrede entwickelt sich im Laufe des Films das die gesamte Highschool umspannende Gerücht, Olive gehe mit allen Jungs ins Bett oder vielmehr, sie nehme Geld dafür, dies via Gossip zu kommunizieren. Bereits daran wird die Selbstreflexivität des Films offensichtlich. Es entsteht ein Gerücht über ein Gerücht.

Als Olive nach dem Wochenende ihrer Freundin auf der Mädchentoilette versichert, dass es dieses Date tatsächlich gegeben habe (0:05:20–0:06:03), wandelt sich die Ausrede zur ernst zu nehmenden Tatsache. In dem Moment verändert sich die Stimmung des Films. Plötzlich hört die Freundin konzentriert zu. Durch die unablässige Wiederholung, erst durch Olive, dann durch Rhiannon und zuletzt durch die gesamte Schule – die genau darüber als solche, d.h. als Institution sichtbar wird – gewinnt die Aussage an Wert. Die anfängliche Ausrede einer Einzelnen generiert sich durch die Interaktion der Freundinnen zu einer gemeinsamen Geschichte und steigert so zunehmend ihren Wirkungsgrad.

Erst als Antwort auf die insistierende Vermutung der Freundin, dass es bei diesem Date zur Entjungferung gekommen sein muss, lenkt Olive ein und erklärt, ja, sie habe ihr ‚erstes Mal‘ erlebt: „We did it.“ Schreiend freut sich ihre Freundin: „Yes!!“ In diesem Moment formt sich das Bild der, wie sich die Mädchen selbst bezeichnen, super sluts. Wir werden Zeuginnen der Entstehung eines kollektiven Bezugspunktes, der nachweislich keine faktische Basis hat, sondern seinen Ursprung in einem Gerücht findet. Es entsteht eine Verbundenheit zwischen den Freundinnen – und der Zuschauerin als Mitwissende. Später stellt sich sogar heraus, dass auch Rhiannon noch nie Sex gehabt hat, sondern sich (lediglich) darüber definiert, indem sie ausschweifende Erfahrungen imaginiert (die wir allerdings weder wirklich hören, geschweige denn sehen). Genau darum geht es in dem Film. Durch diese Szene und nicht zuletzt durch den gesamten Film wird deutlich, dass es um das Fabulieren geht und vor allem um die Interaktion der am Gossip Beteiligten. Das Gerücht entwickelt sich auf Grundlage einer angenommenen Wahrheit, fern von Fakten. Der Sprechakt wird zum Faktum.

Durch das Gespräch entsteht eine Verbundenheit, ein Kreis von Eingeweihten, der sich von den ‚Übrigen‘ abgrenzt, die als ‚Andere‘ in diesem Moment erst entstehen. Der Ort, die Mädchentoilette, und die Naheinstellung der Freundinnen verstärken die Grenzziehung zwischen einem ‚Drinnen‘ und einem ‚Draußen‘. Durch das Gespräch und die engen, dunklen Räume entsteht ein Gefühl von Intimität, das allerdings allmählich aufbricht und kurz darauf jäh gestoppt wird. Zunächst macht Gossip aus den beiden Mädchen vertraute Zuhörerinnen, das Gerücht dient zur Stiftung und Verfestigung der Freundschaft, als verbindende Interaktion zwischen den Beteiligten (vgl. auch Siegel 2006, 74; Spacks 1982, 29f.). Doch plötzlich verselbständigt sich der Sprechakt. Ohne Unterlass sprudelt es aus Olive heraus, als sie ihr ‚erstes Mal‘ erfindet.

Ausgerechnet in diesem Moment verschweigt der Film uns manches Detail, über das die Mädchen sprechen, und wir hören stattdessen Olives voice over, die auf selbstironische Art versucht, das Verhalten zu erklären: „I don’t know why I did it. I guess maybe it was the first time I had sort of felt superior to Rhi. I just started piling on lie after lie. It was like setting up Jenga.“ In dem Augenblick werden wir uns wieder gewahr, dass es um einen Webcast geht, dem wir beiwohnen. Durch die liveness des Rückblicks via Webcast, die durch die Zwischenkapitel und die voice over immer wieder hervorbricht, mischen sich in dem Film Innen- und Außenansicht, berichtender und kommentierender Modus, Vergangenes und Jetzt-Zeit.

Der Film verleiht der durch das Gespräch zwischen den beiden Freundinnen sich konstituierenden Intimität und der fluiden Grenze zwischen ‚drinnen‘ und ‚draußen‘, Öffentlichkeit und Privatheit, genau dadurch Nachdruck, dass die entstehende Verbundenheit jäh aufgebrochen wird, indem der Kreis der Eingeweihten plötzlich um eine Mitschülerin erweitert wird, die zufälligerweise das Gespräch mithört. Die Toilette erweist sich als halböffentlicher Ort, als ausgerechnet die Vorsitzende des Christian Clubs, Mary Ann, aus einer Kabine hervortritt. Das überraschende Auftauchen der Mitschülerin macht die unkontrollierbare Ausbreitung und entsprechend die Wirkmächtigkeit von Gossip erfahrbar. Nicht nur bleibt, so verdeutlicht es der Film auf narrativer wie ästhetischer Ebene, kaum überschaubar, wer mit wem kommuniziert und kommunizieren wird und wie sich das Gerücht entsprechend ausbreitet, sondern ebenso schwer ist es zu sagen, wann und wo sich die Mitteilungen ereignen und wie diese weitergetragen werden.

In einer rasenden Geschwindigkeit verbreitet sich das Gerücht. Easy A betont diese zeiträumliche Dynamik mit einem Zeitraffer, die mit jeder neuen Mitteilung einsetzt. So wendet Olive ihren Kopf, die Kamera nimmt diese Bewegung per eyeline match auf und führt sie fort, indem sie schwerelos durch den Handlungsraum fliegt (0:08:12–0:09:00). Der gesamte Bildraum wird so zu einem Charakteristikum des Gerüchts: zu einer unsichtbaren Omnipräsenz, die durch kollektive Interaktion hervorgebracht wird. Von Grüppchen zu Grüppchen, über die Wiese, durch den Klassenraum fliegen wir bis die Bewegung in der Protagonistin endet. Olive, deren Perspektive wir teilen, wird dadurch sowohl als Initiatorin als auch als Gerücht selbst inszeniert, als Mitteilende und Mitteilung. Zudem findet sie sich in einer Beobachterinnenposition und partizipiert zugleich am Geschehen. Die Protagonistin realisiert sich als raumzeitliche Figuration von Gossip.

Durch Gossip vollzieht sich eine permanente Bewegung von der ersten hin zur dritten Person. Die erzählende Person wird selbst zum Inhalt. Man selbst wird als Medium zum Teil des Gerüchts (ich habe gehört, dass er heiraten wird; sie/er hat gesagt, (sie/er habe gehört), dass er heiraten werde, usf.). Dadurch erhält die Aussage eines Individuums einen Wirkungsgrad, der über die einzelne Gesprächssituation hinausreicht. Siegel beschreibt diese Bewegung als grundlegende Figur des oralen Diskurses, die eine kollektive Dimension herstellt:

Durch die Modulation des oralen Diskurses wird die erste Person, „ich“, zur dritten Person – und damit letzten Endes eine Figur. Doch diese durch Klatsch produzierte Figur ist eine dritte Person mit größerem Wirkungsgrad. Denn dadurch, dass andere durch ihre Positionierungen zur Verwandlung dieser Figur beigetragen haben, fungiert sie als eine Art ‚kollektive Äußerung‘, wie es Gilles Deleuze ausdrücken würde, mithin eine Figur, die für viele politisch und soziale Relevanz erhält. (Siegel 2006 77f.)

In diesem Sinne verstehe ich das Zuschauerinnengefühl der subjektiven Kollektivität. Es beschreibt eine bestimmte Art und Weise, sich als Subjekt mit der Welt in Beziehung zu setzen. D.h. die sich durch Gossip konstiuierende Kollektivität ist nicht ohne die subjektive Dimension zu denken – und umgekehrt, so suggeriert es der Film, ist das Subjekt nicht ohne eine kollektive Konstante bestimmbar.

Die sich mit dem entstehenden Gerücht derart zügig entfaltende Allgegenwärtigkeit in Zeit und Raum erinnert an das von Andreas Paul Weber 1953 in der bekannten Zeichnung zum Ausdruck gebrachte Wesen der Fama. In der Zeichnung von Paul Weber sieht man ein wurmähnliches Ungeheuer mit einer langen Nase und teuflischen Ohren durch eine Schlucht von Häusern gleiten, aus deren Fenster unzählige Miniungeheuer stürzen, die sich diesem anschließen und dadurch selbst zum Gerücht werden. Die rasende Schwerelosigkeit stellt sich auch deshalb ein, weil es eben weniger darum geht, etwas Neues weiterzugeben, sondern vor allem darum, ein Gefühl von Zugehörigkeit zu erfahren, das sich durch eben diese Mitteilungen konstituiert. So geht es beim Gossip, so macht es der Film erfahrbar, vor allem um das Mitteilen selbst. Hierüber strukturiert sich die Gemeinschaft bzw. formiert sich das Kollektiv, das zuvor noch eine anonyme Masse war.

Während Kay Kirchmann erklärt, dass Gerüchte im Unterschied zur Nachricht keine Urheberin haben oder diese sich nicht mehr bestimmen lasse und daher als „Form der ungesicherten und ungeprüften Informationsweitergabe zu verstehen“ sind (Kirchmann 2004, 74), zeigt Easy A, dass es beim Gossip eben nicht darum geht, ob Gerüchte wahr oder falsch sind, sondern vielmehr um die verbindende Interaktion zwischen den Beteiligten. Wie Siegel, aber im Gegensatz zu Kirchmann, denke ich, dass Gossip eben nicht dann zum Stillstand kommt, wenn sich der Wahrheitsgehalt überprüfen lässt, sondern, wenn es keinerlei Interesse mehr an der Praxis des Spekulierens oder Fabulierens gibt. Siegel schreibt:

Gossip thus loses its currency not because it’s untrue, but because no one really cares enough about it to circulate, embellish and make something fabulous out of it. Believing gossip then presupposes a desire to take its speculations as true and relevant to the self. (Siegel 2010, 119)

Beim Gossip geht es vielmehr um Glauben, als um Wissen, um einen eigenen Diskurs, der sich kollektiv entfalten kann. Dass der Wahrheitsgehalt eines Gerüchts schon deshalb weniger entscheidend ist, darauf verweist gerade der unbekannte Ursprung von Gossip. Vielmehr geht es um Wahrscheinlichkeiten, als um Wahrheiten, vor allem aber um den Kommunikationsakt. Gleichwohl ist der Inhalt von Gossip nicht unbedeutend – wie sich anhand von Easy A zeigt. Allerdings heben die Mitteilungen eben nicht auf die möglichst treue Weitergabe von Informationen ab, sondern auf deren Interpretationsmöglichkeit. So dient Gossip zum Austausch individueller Meinungen, d.h. subjektiver Aussagen, und zur gemeinsamen Produktion eines Bewusstseins. Es geht nicht um Erkenntnis, sondern um Gemeinschaftsbildung qua kollektiver Äußerung einzelner Subjekte (vgl. auch Bühl 2000, 253).

Olives Community College stellt einen überschaubaren Ort dar. So kann man trotz der unkontrollierbaren Verbreitung des Gerüchts argumentieren, dass es sich um einen klar definierten Raum handelt, den der Film präsentiert. So realisiert sich mit Easy A eben nicht nur eine Coming of Age-Geschichte, sondern ebenso eine Abhandlung über Gemeinschaften als komplexe Gefüge von In- und Exklusionen und als – in den Worten von Benedict Anderson – imagined communities[48]. Durch die Gerüchteproduktion stellt sich die Schule als Soziotop dar, das durch bestimmte Gesetzmäßigkeiten strukturiert bzw. konstituiert wird. Auch aus diesem Grund verbreitet sich Gossip so schnell: Nicht nur ist der Inhalt des Gerüchts mehr oder weniger bekannt, auch der Kreis der am Gossip Beteiligten besteht gewissermaßen schon. So geht es in dem Film weniger darum, eine neue Gemeinde aufzubauen und sich Sozialität zu erschließen, als vielmehr darum, diese zu strukturieren und zu ordnen. Genau daran zeigt sich, inwiefern die Gerüchteproduktion bestimmt, wer dazugehört und wer nicht.

3.2.3. Fabelhafte Subjektivität

Neben der rasend schnell sich verbreitenden Omnipräsenz und der kollektiven Eigendynamik von Gossip, die einzelne Subjekte übersteigt, macht Easy A erfahrbar, dass es in der Gerüchtekommunikation nicht nur um die Weitergabe einer Botschaft geht, sondern eben auch um das Mitteilen selbst. Denn, wie Marc Siegel erklärt: „Indeed, often the only thing that links the disparate details joined together in gossip’s serial story-telling is the subjective perspective of the gossiper him oder herself.“ (Siegel 2013, 43) Es geht um individuelle Teilhabe sowie um die allgemeine Möglichkeit der Interpretation, die sich auch als Zuschauerinnengefühl realisiert – wie etwa in der beschriebenen Szene auf der Toilette. Da wir Olives Ausführungen nur ansatzweise hören und zudem bezeugen können, dass sie ihr Wochenende im Zimmer verbracht hat, wie uns der Film zuvor zeigt, präsentiert sich die Szene als Einladung an die Zuschauenden zur Partizipation am Gossip. Wir selbst sind angehalten, uns trotz besseren Wissens ein Bild von dem Date zu machen, das zumindest hätte stattfinden können, d.h. an das ‚erste Mal‘ zu glauben, es zu imaginieren. Gossip realisiert sich hier als Hörensagen in der Bilder-Produktion der ästhetischen Erfahrung. Die Szeneetabliert einen Modus des Imaginierens, der sich nicht an Fakten orientiert, sondern an Gehörtem. Dadurch konstituiert sich eine offensichtlich subjektive Perspektive, die nichtsdestoweniger eine kollektive, wenn nicht allgemeine Gültigkeit besitzt. In der Szene sehen wir die Sprechenden, hören sie jedoch nur fragmentarisch. Und dennoch oder vielmehr gerade deshalb empfinden wir uns als Teil der am Gossip Beteiligten, die das Überhörte weitergeben.

Die Szene verdeutlicht, inwiefern es weniger um Neuigkeiten geht, denn um ein kollektives Spiel mit Vorstellungen, die trotz der Fiktivität nicht an (affizierender) Wirkkraft verlieren. Beim Gossip geht es – um Siegels emphatisches Argument, das er hinsichtlich der Performancekunst von Vaginal Davis vorbringt, nochmals aufzunehmen – nicht um wahre oder falsche Aussagen, sondern um Temporalität und Vieldeutigkeit, um „affektvolle und imaginative Freuden“ (Siegel 2006, 73). Zum einen macht Easy A in der Dauer der Rezeption erfahrbar, dass es nicht um eine letztgültige Wahrheit geht, mittels derer wir in ein bedeutendes Verhältnis zur Welt treten, sondern um eine sich durch das Fabulieren konstituierende Subjektivität. Zum anderen betont der Film die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sich Möglichkeiten subjektiven Ausdrucks eröffnen.

Gossip könne kraft seiner performativen Dimension, so Siegel, Fremdzuschreibungen umlenken. Obgleich Siegel die destruktive Seite nicht leugnet, sieht er in der Gerüchteproduktion eine Möglichkeit persönlicher und sozialer Verwandlung. Er begreift Klatsch

[…] als fabelhaft, als eine Form des Fabulierens – als einen performativen Modus mündlichen Diskurses, der höchst wirkungsvolle Charaktere, mythische Typen oder legendäre Figuren schafft, deren sichtbare Eigenschaften das Material sind, aus welchem andere ihre Hoffnungen und Wünsche nach noch mehr und verschiedenartigen Weisen beziehen, in der Welt zu sein. (Siegel 2006, 78)

Mit Verweis auf Patricia Meyer Spacks schreibt Siegel, dass am

[…] Klatsch Teilnehmende ‚die Rede über andere‘ [benutzten], um über sich selbst zu reflektieren, um Erstaunen und Unsicherheit zum Ausdruck zu bringen, Gewissheiten zu verorten und ihr Wissen über andere zu erweitern. Diese Art von Klatsch kann, wie die anderen Formen, Elemente des Skandals benutzen, aber ihre Ziele richten sich nur im engeren Maße auf die Welt jenseits der Sprechenden selbst – außer auf die Dimensionen der Welt, die sie betreffen. (Ebd., 74)

Siegels Ausführungen eignen sich, um die vielschichtige Bedeutung von Gossip in dem Film zusammenzufassen. So bringt auch Easy A zum Ausdruck, dass sich die in dem Film gemachten Aussagen überwiegend auf eine Welt beziehen, die die am Gossip Beteiligten direkt betreffen und „nur im engeren Maße auf die Welt jenseits der Sprechenden selbst“. Die Schule wird als eigenes Universum, als überschaubarer, von der Außenwelt abgegrenzter Ort inszeniert. Im Grunde besteht sie allein aus dem alles umspannenden Gossip. Für den und in dem Film gibt es kein Außen. Allein Olives Familie stellt einen Ort der Diegese dar, der nicht unmittelbar mit dem Community College verbunden ist, also einen Teil der Gerüchteproduktion bildet.

Außerdem wird Gossip durch Easy A in seiner Möglichkeit des Selbstentwurfs präsentiert. Auf der narrativen Ebene wird erals Mittel ausgestellt, „um über sich selbst zu reflektieren, um Erstaunen und Unsicherheit zum Ausdruck zu bringen […]“ (ebd.), geht es doch um das Heranwachsen einer Teenagerin, die sich ihrer (geschlechtlichen) Identität zu vergewissern sucht. Zugleich stellt der Film heraus, dass Gossip einem strengen Regelwerk unterworfen ist und nicht allein der Schaffung neuer Identitäten dient. Der Handlungslogik folgend, ist es nämlich unmöglich, sich fern vorherrschender bzw. wiedererkennbarer Vorstellungen von Geschlecht als Subjekt zu behaupten.

Da Olive zugleich sowohl Subjekt als auch Objekt der Gerüchteproduktion ist sowie Medium und Beteiligte, obliegt es ihr – zumindest anfänglich –, offiziell zu bestätigen, mit den Mitschülern (bis auf Rhiannon scheint den Mädchen nichts an einem entsprechenden Ruf zu liegen, nur den Jungs) ins Bett zu gehen und sie damit zu Teilhabenden an dem Kreis der Eingeweihten zu machen, der durch eben dieses Zugehörigkeitsgefühl erst entsteht. Für einen Restaurant-Gutschein oder eine andere Gegenleistung beginnt Olive via Gossip durch den imaginären Geschlechtsverkehr die Männlichkeit ihrer Mitschüler zu bestätigen oder vielmehr diese überhaupt zu produzieren. Erst als geschlechtlich bestimmbare Wesen, so erzählt es der Film, werden sie als Subjekte anerkannt. Allerdings wandelt sich im Laufe des Films dadurch nicht nur das Bild der Jungs, sondern vor allem eben jenes von Olive. Obgleich die Wahrheit mit der steigenden Anzahl der am Gossip Teilhabenden ans Licht zu kommen droht, verliert das Gerücht bemerkenswerterweise nicht an Wirkung. Allerdings verändert es sich – und damit sein Effekt. Olives Warenwert sinkt, das exquisite Date wird zur verfügbaren Massenware. In dem Maße, in dem der Anteil der Dazugehörigen wächst und derjenige der Ausgeschlossenen schrumpft, wandelt sich die Fremd- und damit auch die Selbstwahrnehmung der Protagonistin.

3.2.4. Das Gefühl von Zugehörigkeit durch Teilhabe

In Easy A wird das Gefühl von Zugehörigkeit als notwendige Bedingung von Subjektivität reflektiert. Es wird durch den Film als elementare Bezugsmöglichkeit innerhalb einer dichotomen Geschlechterlogik erfahrbar. Easy A veranschaulicht, wie die heterosexuelle Matrix die soziale Ordnung strukturiert. Um dazuzugehören, so zeigt es der Film, muss man, einem dichotomen Geschlechterverständnis gemäß, das andere Geschlecht begehren. In dem Augenblick, da Olive angeblich ihre ‚Jungfräulichkeit‘ verliert, wird sie zur ‚Frau‘ und damit sichtbar.

Identität wird als Effekt kollektiver Kommunikationsprozesse beschrieben. Weniger kommt es auf die Intention Einzelner an, denn auf die Konventionen. Oder, um noch einmal Butlers Ansatz zur Sprechakttheorie aufzugreifen: Äußerungen müssen einer Norm entsprechen, um ihren intendierten Effekt entfalten zu können. Sie werden nur dann wirkmächtig, wenn sie sich an ein zuvor etabliertes Regelwerk halten. Andererseits etablieren sie eben dieses zugleich, indem sie wiederholt vollzogen werden und performativ Gegebenheiten schaffen. Denn durch eine ständige Wiederholung von Normen werden Normen überhaupt erst geschaffen (vgl. Kapitel 3.3.1.; vgl. dazu auch Bublitz 2002, 22ff.). Allein durch das kollektive, permanente Wiederholen ein- und desselben Subjektkonzepts entsteht ein allgemeingültiger Maßstab, der nichtsdestotrotz kaum objektivierbar ist.

Auf der Handlungsebene von Easy A liest sich dies wie folgt: Durch die Wiederholung des Gerüchts, dass Olive entjungfert wurde, verfestigt sich die heterosexuelle Matrix als wirkmächtige Tatsache. Nun, so erzählt es der Film, sind auch die ‚Übrigen‘, die Mitschüler, darauf angewiesen, sich mittels Gossip an der Fortschreibung der Geschlechternorm zu beteiligen, um als Subjekt gelten und dazugehören zu können. Um die dafür notwendige Geschlechtsidentität zu erlangen, geben die Jungs vor, mit Olive, die nun qua ‚erstem Mal‘ zur ‚Frau‘ ‚geworden‘ ist, Sex gehabt zu haben.

Indem der Film die dichotome Geschlechtskategorie allerdings als aufwendigen und riskanten Prozess einer Gerüchteproduktion inszeniert, stellt er sie als komplexe instabile Konstruktion dar. Die heterosexuelle Matrix wird in ihrer oppressiven Wirkmächtigkeit als normierende Fiktion ausgestellt. Normen, so legt es der Film nahe, sind Effekt kollektiver Kommunikationsprozesse, die kontinuierlich am Laufen gehalten werden müssen, um fortzubestehen. Um an der sich darüber konstituierenden Gemeinschaft teilzuhaben, muss man selbst die Normen fortschreiben, obgleich man sich deren ungewisser Basis gewahr ist – etwa wenn anhand der Szene auf der Mädchentoilette offensichtlich wird, wie sich das Gerücht über das ‚erste Mal‘ wie von alleine, bar jeglicher Fakten, zu entwickeln beginnt. Olive erlebt sich als zugehörig, ohne konkreten Bezugspunkt. Die Kategorie ‚Frau‘ zeigt sich als abstrakte, wenngleich nicht unerhebliche Größe. Dies verstärkt das Argument, dass sich vor allem durch die gossiptypische Interaktion eine Form von Kollektivität konstituiert – und eben nicht aufgrund einer gemeinsamen Erfahrung oder Identität.

Durch die Entstehung des Gerüchts erlebt sich Olive schlagartig als zugehörig. Was oder wem sie sich verbunden fühlt, bleibt bemerkenswert abstrakt und vage. Die naheliegende Vermutung, es handele sich um den Kreis der Erwachsenen, d.h. der Frauen, bleibt einerseits unausgesprochen; andererseits ist dies offensichtlich, wahrnehmbar. Wir sehen, hören, fühlen es. Vor allem inszeniert der Film nämlich das Gefühl von Zugehörigkeit durch Teilhabe, als Teilhabe an etwas, das sich erst in dem Moment der Gerüchteproduktion konstituiert. Teilhabe bedeutet, das macht der Film deutlich, nicht gleich Zugehörigkeit. Man kann an etwas teilhaben, ohne zu etwas zu gehören. In dem Moment, da die Protagonistin endlich mitreden kann bzw. vorgibt, dies tun zu können und dabei zugleich den Stoff der Kommunikation nicht nur liefert, sondern selbst verkörpert, entsteht eine Gemeinschaft von Mitwissenden, die sie aufnimmt in die vermeintliche Runde der Dazugehörigen. Dies lässt sich im Sinne einer geschlechtlichen Initiation verstehen. Das ‚erste Mal‘ ist mit dem gossiptypischen „man sagt“ insofern zu vergleichen, als dass dies als paradigmatischer Geschlechtsbeweis ebenfalls eine Kollektivität (derjenigen mit derselben Erfahrung und demselben Wissen) voraussetzt, d.h. imaginiert. Kaum dass sich dieses solcher Art geschaffene Zugehörigkeitsgefühl konstitiuiert, möchten es der Protagonistin alle ‚Übrigen‘, die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch die Mehrheit bilden, gleichtun und ebenfalls via Gossip zu geschlechtsverkehrerprobten Schülern werden.

Im Gespräch zu sein, bedeutet in Easy A Sichtbarkeit und diese wiederum, jemand zu sein, Subjekt zu werden. In dem Maße wie die Protagonistin zum ‚Gespräch der Leute bzw. der Schule‘ wird, fällt sie mehr und mehr auf. Während Olive zu Beginn noch als unsichtbares Wesen erscheint, wird sie zunehmend visuell und auditiv wahrnehmbarer. Dies gipfelt in den schwarz-roten Dessous mit aufgesticktem „A“, in denen sie dem innerdiegetischen wie außerfilmischen Publikum ähnlich ins Auge sticht wie Julia Roberts alias Erin Brockovich im Lederkorsett.

Anhand der sich in Easy A vollziehenden Wandlung der Kommunikationspraxis zeigt sich, welche Gratwanderung Gossip bedeuten kann. Was zunächst als potentielle Gegenöffentlichkeit erscheint, als taktische Möglichkeit zum Selbstentwurf, verdichtet sich für die Hauptfigur zunehmend zu einem hermetischen Raum von „Identität vernichtenden Effekten von Partizipation“ (Siegel 2006, 71). Als sich zunehmend die destruktive Seite der Gerüchteproduktion zeigt, beschließt Olive, den Gossip zu beenden und dessen Verlauf sowie seine wesentlichen Strukturen und seine Dynamik via Webcast öffentlich zu machen. Im Nachhinein liest sich der gesamte Film als reflektierender Rückblick, als Internetshow einer Teenagerin. So ließe sich argumentieren, dass Gossip eben doch genau dann zum Stillstand kommt, wenn sich die Mitteilung als wahr oder falsch herausstellt. Allerdings zeigt Olives Entschluss, dass aus ihrer Sicht keinerlei Interesse mehr an der Praxis des Imaginierens

besteht. In diesem Sinne lässt sich der Webcast als emanzipatorischer Sprechakt verstehen, mit dem sich die Protagonistin der sie diffamierenden Logik entzieht.
Der Film entfaltet seine Reflexionen über Gossip entlang der Mechanismen einer heterosexuellen Matrix und lässt sich in dieser Hinsicht als Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Identitätskonzepten und ihren Bedingungen verstehen. Mehr noch thematisiert Easy A allerdings die wirklichkeitsstiftende Dimension von Sprechakten sowie von Bildern und Vorstellungen.

3.2.5. Die Inszenierung des Sprechakts

Der Sprechakt wird in Easy A ähnlich wie in Miss Congeniality als theoretische Anschauung problematisiert. Während das Gerücht des Geschlechtsverkehrs auf der Mädchentoilette noch wie von alleine entsteht, wird es in einer späteren Szene (0:29:19–0:35:00) ganz bewusst von der Protagonistin gestaltet und als Mittel zum Selbstentwurf eingesetzt. Nachdem sich herumgesprochen hat, dass Olive mit Männern schläft bzw. dies vorgibt zu tun, bittet ihr schwuler Freund sie, auch ihm diesen Gefallen zu tun. So inszeniert Olive auf einer Party ein Spektakel, dem die Gäste vor verschlossener Tür beiwohnen. Dabei springen Olive und der Freund vergnügt und belustigt auf dem Bett herum, grunzen und schreien, während die sich vor dem Schlüsselloch im Flur versammelnde Menge Zeuge des akustischen Aktes wird und sich ihre eigenen entsprechenden Bilder vorstellt. Das Gerücht nimmt weiter seinen Lauf. Die lauschenden Partygäste transformieren sich durch diese Situation von einer undefinierten Masse zu einem Kreis von Mitwissenden und – an der gemeinschaftlichen Gerüchteproduktion bzw. gerüchteproduzierenden Gemeinschaft – Teilhabenden. Auch in dieser Szene wird deutlich: Es geht nicht um das tatsächliche Bezeugen des Geschlechtsakts, sondern um das Dabeigewesensein und um den subjektiven Imaginationsraum.

Auf der Party muss Olive noch großes Gestöhne imitieren, um dem Gerücht über den gemeinsamen Geschlechtsakt Gewicht bzw. größere Wirkmacht zu verleihen und dem Freund so zu einer glaubwürdigen heterosexuellen Identität zu verhelfen. Anschließend reicht es allerdings aus, schlicht und einfach zu erzählen, dass sie Sex hatte, um das Gerücht aufrechtzuerhalten und das jeweilige Selbst- bzw. Fremdbild zu zeichnen. Der Sprechakt ist zur Tatsache geworden, er gilt gleich einer Handlung. Sex haben und über Sex reden implizieren dieselben Konsequenzen. Konstative Äußerungen werden zu performativen Äußerungen.

Ähnlich wie in Sex and the City (USA 1998–2004) kommt dem Reden über Sex eine größere Bedeutung zu als Sex zu haben. Allerdings entfaltet sich der Austausch in Easy A anders als in Sex and the City nicht innerhalb einer Gruppe von Freundinnen, sondern anhand der von Jungen wie Mädchen besuchten Schule. Während sich in Sex and the City über Gespräche, die ebenso als Gossip bezeichnet werden können, eine Gemeinschaft von Frauen konstituiert, die nicht so sehr auf eine Mann-Frau-Beziehung abzielt, sondern eher auf eine Art von ‚Frau-Sein‘, die sich über das Reden mit Frauen über fiktive Sexakte zwischen Mann und Frau realisiert, formiert sich in Easy A die betroffene Bezugsgruppe vor allem durch Schüler.[49]

Was zunächst als individuelles Mittel zur Sichtbarmachung dient, wird in Easy A zur Möglichkeit Vieler (zumindest des männlichen Geschlechts), jemand zu ‚werden‘ und als Subjekt anerkannt zu sein. Gezielt wird Gossip durch Olive und ihre Mitschüler eingesetzt, um die sich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen Fühlenden teilhaben zu lassen an dem, was sich in eben der Gerüchteproduktion konstituiert. So bietet der Film bemerkenswerterweise keine objektive Sicht auf die Ein- und Ausgeschlossenen wie etwa Emma, was ich noch zeigen werde. Bereits mit dem Prolog wird die Subjektivität als grundlegendes Verhältnis zur Welt betont. Zugleich lässt sich Olives per voice over artikuliertes Empfinden von Anonymität, des Gefühls des Nicht-Gesehen-Werdens, auf eine diegetische Welt zurückführen, wie der Zusammenstoß zeigt. Subjektive Wahrnehmung wird durch Easy A als essentieller Weltbezug beschrieben, der nicht in einen Bereich ‚bloßer‘ Imagination abgeschoben werden kann. Entsprechend ist durchaus nachvollziehbar, dass weder die Konsequenzen des Gossip noch die Motivation der Beteiligten als Teil der Handlung zu sehen sind. Weder erleben wir, wie die zu Männern gekürten Jungs als soziale Subjekte anerkannt werden, noch sehen wir die von dem schwulen Freund angeführten Hänseleien oder die von den anderen Jungs beschriebenen Probleme, wie etwa des dicken Mitschülers, der angeblich aufgrund seiner Figur keine Frauen treffen kann. Der Film macht, wie bereits anhand der Toilettenszene erläutert, das Mitgeteilte, das Gehörte zum Bestandteil des visuellen Bildes. In diesem Sinne stellt sich der Film selbst als Sprechakt dar.

Das Mitteilen und Mitteilungen bestimmen Handlungs- wie Bildraum von Easy A und realisieren sich sowohl auf der Ebene des Sujets, des Motivs, als auch der Ästhetik in den herausgearbeiteten Inszenierungsformen von Gossip. Dass Olive sich auch ohne Gegenleistung, d.h. fern der Gerüchteproduktion mit einem Jungen verabreden könnte, steht gar nicht mehr zur Disposition, so wirkmächtig und allumfassend ist der Gossip geworden, so sehr kommt er einer Handlung gleich. Vielmehr ersetzt er diese sogar. So passt es wiederum auch nicht in die Logik der Diegese, dass ein Mitschüler Olive dafür bezahlen will, sie tatsächlich küssen zu dürfen. Entsprechend sorgt dieses Angebot für Irritationen in der Handlung und auch in der Filmerfahrung. So geht es eben um das Gerücht, dass Olive sich via Gossip prostituiert und weniger um die ursprüngliche Aussage, dass sie mit Jungs Sex hat. Die Fiktion wird zum allgemeinen Maßstab.

3.2.6. Gossip Images

In dem letzten Kapitel des Films, „Not with a fizzle but with a bang“, findet nochmals ein grundlegender Perspektivwechsel statt. Denn nun werden die visuellen Einschnitte der Kapitelankündigungen und die auditiven Kommentare Olives, mit denen sie ein außerfilmisches Publikum anspricht, in die Diegese eingebettet. Am Ende ruft Olive nämlich auch die Schule während eines Sportturniers dazu auf, pünktlich um sechs Uhr ihren Webcast einzuschalten, sie habe etwas Wichtiges mitzuteilen. In diesem Moment fallen außer- und innerfilmisches Publikum zusammen. Unausgesprochen vermutet man nun selbst, dass die Hauptfigur sich endlich ‚tatsächlich‘ beim Sex zeigen wird. Denn durch die sich fortlaufend wiederholenden Sprechakte und den die gesamte Diegese mehr und mehr einnehmenden Gossip hat der Sprechakt in der Dauer der Filmrezeption auch auf seiten der Zuschauerin seine Wirkmächtigkeit entfalten können. So suggeriert das Ende dank der durchkomponierten Affektdramaturgie, dass alles dafür spricht, gewissermaßen den faktischen Beweis des Gerüchts zu sehen zu bekommen.

Wider besseres Wissen (denn wir haben ja gesehen, dass Olive mit niemandem geschlafen hat) können auch wir als Zuschauende uns vorstellen, dass Olive sich gleich nackt präsentiert. Aufgrund des ausgeführten gossiptypischen Inszenierungsmodus rechnen auch wir mit einer ‚Konkretion‘, d.h. mit einer Visualisierung des zur Tatsache gewordenen Gerüchts. Denn obgleich ich argumentiert habe, dass es bei Gossip weniger um den Inhalt geht, denn vor allem um die kollektive Interaktion, so ist die Frage nach dem möglichen Wahrheitsgehalt des Gerüchts als vorantreibende Kraft dieser Kommunikationspraxis, so verdeutlicht es das Ende von Easy A, nicht gänzlich von der Hand zu weisen. So warten auch wir gespannt auf die ‚Auflösung‘ – und werden damit schlussendlich ebenso zum Teil der sich über den Gossip konstituierenden (Zuschauerinnen-)Gemeinschaft. Mit dem letzten Kapitel realisiert sich das Gefühl von Zugehörigkeit durch Teilhabe auch für das außerfilmische Publikum. Dann partizipieren auch wir am kollektiven Imaginieren.

Während die Mitschülerinnen und -schüler sich zuvor noch lose zu einem sozialen Netz verbanden, werden sie am Ende zu einer hörenden und sehenden Gemeinschaft zusammengeführt: als Publikum. Der Film zeigt, wie die gesamte Gemeinde (inklusive Familie) an verschiedenen Orten vor den Computern auf Olives Verkündung via Webcast wartet. Doch anstatt des vermuteten (und erhofften) Sexaktes präsentiert Olive nun auch dem innerdiegetischen Publikum den Film als ihre Geschichte – und damit zugleich als jene des Community Colleges, das sich über diese eben erst zur Gemeinschaft entwickeln konnte. Rückblickend entpuppt sich der gesamte Film als ein Webcast, der ebenso dem innerdiegetischen wie dem außerdiegetischen Publikum präsentiert wird.

Mit dem letzten Satz („That’s what movies don’t tell you: How shitty it is to be an outcast.“) verschmilzt die Webcam schließlich ganz mit der Diegese. Zugleich wird eine weitere Wirklichkeitsebene eingeführt. Plötzlich wendet sich Olive von der Kamera ab, da sie ihren alten Freund Todd vor dem Haus hört, der schallende Musik via Lautsprecher verbreitet. Der Bildraum wird zum Handlungsraum, als sie aus dem Fenster schaut, das Zimmer verlässt und nach draußen eilt. Was sich vorher noch als selbstreflexive Inszenierung von Gossip definieren lässt, transformiert sich unversehens wieder in eine diegetische Handlung bzw. in eine weitere Ebene von Fiktion. Der sich im nächsten Bild entfaltende Raum stellt sich nämlich nicht als ein Außen der bis dahin via Webcast präsentierten Geschichte dar. Stattdessen kreuzt Todd „wie in einem Film“ mit Rasenmäher und Musik bei Olive auf, so wie diese es sich aufgrund ihrer eigenen Filmerfahrung, wie sie erklärt, schon immer erträumt habe. Easy A kulminiert somit in einer romantischen Imagination, die diegetisch rückgebunden wird.

Mehrere Wirklichkeitsdimensionen kommen so ins Spiel. Mit ihrem Webcast beendet Olive die fiktive, sich über den Gossip gebildete diegetische Gemeinschaft, deren Fortgang nun ungewiss ist bzw. in der Logik der Kommunikationspraxis mit deren Ende sich ebenso auflösen müsste. Indem der Film, d.h. Olive, der diegetischen Gemeinschaft gewissermaßen den Spiegel vorhält, wird die direkte Adressierung der Zuschauerin in die Diegese überführt. Wenn Olive nun nach ‚draußen‘ schaut, um sich kurz darauf mit Todd per Rasenmäher davonzumachen, führt der Film allerdings eine weitere fiktive Dimension ein. Denn dann rückt zwar die selbstreflexive Abhandlung über Gossip in den Hintergrund, doch dafür wird eine Metaebene angesprochen, die auf eine massenmediale Bilderzirkulation verweist. Denn anstatt dass wir in die diegetische Realität überführt werden, stellt der Film die Rasenmäher-Szene als höchst artifizielle Konstruktion aus, die jedoch nicht minder wirklich ist als die sich zuvor über Gossip konstituierende Welt. Im Grunde, so lässt sich das Ende interpretieren, gibt es kein ‚Außerhalb‘ von Imagination. Fiktion und Fakten sind gleichbedeutend bzw. ununterscheidbar. So wird die Zuschauerin mit einem Gefühl aus dem Film entlassen, dass massenmediale Wirklichkeit in demselben Maße wie Gossip real ist und trotz – oder vielmehr wegen – der imaginären Dimension ebenso eine entscheidende Bezugsebene für das Verhältnis zur Welt darstellt. Der Film macht erfahrbar, inwiefern Fiktion nicht trotz, sondern wegen ihres konstruierenden Charakters Realität erzeugt. So stellen auch massenmediale Bilder kollektive Vorstellungen als Effekt von Imagination dar: gossip images.

Marc Siegel entwickelt den Begriff des gossip image, um zu beschreiben, inwiefern Bilder und Vorstellungen von Stars durch Kommentare, Vermutungen und Lust an Ausschmückungen und Fabulation geschaffen werden. In der sich derart gestaltenden Bilderzirkulation erkennt er eine utopische Dimension, die alternative Identitäten und eine queere Gegenöffentlichkeit jenseits einer massenmedialen Wirklichkeit zu erschaffen erlaubt (vgl. Siegel 2010, 5ff.). Zum einen hebt Siegels Forschung auf den Umgang mit Star Images durch Film, Videos und Performances ab, bei dem sich die Bilder fortwährend weiterentwickeln, verändern und neu formieren. Zum anderen bezieht Siegel die sich durch diesen Austausch wandelnde Ästhetik mit ein und die sich dadurch ergebende Vieldeutigkeit von Vorstellungen. Siegel reflektiert somit sowohl den Gebrauch von Filmbildern als auch deren sich damit konstituierende Ästhetik als Gossip im Sinne einer kollektiven fabulierenden Kommunikationspraxis. Diese so erzeugten Bilder nennt er gossip images. Siegel konstatiert:

Like cruising in Daney’s account, gossip, I would argue, is an image-producing activity. Thus, gossip-images, are also generated ‚at the border of two force fields‘; as image they are indeterminate. That is, gossip-images lack something, namely the independent authority of the self-evident, and as such they rely on the collective process of speculation and desire among intimates for their conviction. This is to say that gossip’s images both demand substantion through words from a trusted friend and solicit extension in the speculations of the next confidant. In a queer counterpublic, gossiping can function as a speculative process of imagining and imaging difference. (Ebd., 20)

Während Siegel der massenmedial erzeugten Wirklichkeit prinzipiell skeptisch gegenüber steht und das intimitätsstiftende Potential von Gossip als möglichen Gegenpol hervorhebt, sehe ich in dem gegenwärtigen Mainstreamkino durchaus eine politische Dimension. Denn der kinematographische Modus des Gossip von Easy A hebt durchaus auf eine Art von Bilderproduktion ab, wie sie Siegel beschreibt. Der Film ist darauf angelegt, die Zuschauerin als Verbündete der imaginativen Praxis zu gewinnen. So werden wir einerseits selbst Teilhabende am spekulativen Vergnügen, am „speculative process of imagining“, und andererseits zeigt der Film mit dem Ende Alternativen auf, „imaging difference“.

Denn Easy A endet nicht, weil schließlich die Wahrheit verkündet wird, denn diese stand ohnehin nie wirklich zur Disposition, sondern aufgrund des öffentlichen Auftritts von Olive, durch den die Mechanismen von Gossip aufgedeckt und ausgeschaltet werden bzw. sich vielmehr als Aneignungsmöglichkeit erweisen. Mit der Webcam beansprucht die Protagonistin alleinige Autorinnenschaft, die keinen Raum mehr lässt für individuelle Interpretation und kollektive Äußerungen. Die Kommunikationspraxis entspricht nicht länger verbindenden Interaktionen. Die soziale Dynamik von In- und Exklusion wird aufgebrochen. Mit Olives Verkündung verschwindet die informelle Dimension, die zum offiziellen Diskurs geworden ist. Durch den öffentlichen Auftritt verleiht die Protagonistin ihrer eigenen Stimme Wirkmacht. Damit wird die mit dem Prolog eingeführte subjektive Perspektive, die zunehmend gleichzeitig als objektiv erkennbar wird, auf den Punkt gebracht – allerdings unter anderen Vorzeichen. Anders als die Frauenfigur in The Scarlett Letter sieht die Protagonistin ihrem Ende nicht schweigend entgegen. Während sich Olive als Gerücht durch unkontrollierbare Omnipräsenz auszeichnet, erscheint sie mittels Webcast als massenmediales Sprachrohr einer individuellen Stimme. Somit konstituiert sie eine Öffentlichkeit, die sich dem oppressiven Geschlechterdiskurs entgegenstellt – vielleicht in einem Sinne, wie ihn Patricia Mellencamp schätzen würde. Denn mit Blick auf Mellenkamp schreibt Siegel:

According to Mellencamp, to valorize gossip as a function of intimacy for the subordinated, is to attempt to pacify women with imaginary pleasures, rather than to incite them to more direct and public forms of political activism. As she writes, ‚This tactic of valorization, called resistance, might serve to prevent women from speaking out, in public and private, directly.‘ (Siegel 2010, 35)[50]

Somit hebt der Film mit dem letzten Kapitel Gossip wiederum als Instrument des Selbstentwurfs hervor, durch den die oppressiven Strukturen nicht nur sichtbar, sondern auch aushebelbar werden: „A is for awesome“. Darin liegt das Emanzipatorische des Films, das sich zum einen in dem Zuschauerinnengefühl des empowerment realisiert, wenn die Protagonistin am Ende der zunehmend sich destruktiv entwickelnden Praxis des Gossip Einhalt gebietet, und zum anderen in der Darlegung eines bemerkenswerten Subjektverständnisses. Denn im Grunde definiert Easy A das Verhältnis von ‚Ich‘ und ‚Wir‘ als genuine, ständig aufrechtzuerhaltende Fiktion. Versteht man Gossip als raumzeitliche Erscheinungsform, die sich in der ästhetischen Erfahrung realisiert, so kann man den gegenwärtigen Woman’s Film im Anschluss an Siegel selbst als Gossip, d.h. gossip of images (ebd., 30ff.), als „a mode of image circulation“ verstehen, durch den neue Bilder entstehen und eine bestimmte Form von Denken (ebd. 8f.).

3.3. „A match well made, a job well done.“ – Emma

Mit der Analyse von Emma sollen die Implikationen von Gossip als filmanalytischer Zugang verdeutlicht und geschärft werden. Zudem möchte ich zeigen, inwiefern im kinematographischen Modus des Gossip ganz unterschiedliche Affektdramaturgien angelegt sind und wie sich das Zuschauerinnengefühl entsprechendgestaltet. Emma eignet sich als offensichtliche Literaturverfilmung besonders für die Analyse gossiptypischer Inszenierungsformen sowie geschlechtsspezifischer Subjektentwürfe und deren Bedingungen und Effekte, verbindet sich doch gerade mit der literarischen Form des Romans und insbesondere mit jener Jane Austens eine Rezeptionsgeschichte, die als weiblich beschrieben wird (vgl. u.a. Radway 1984).

Während es in Easy A um die wirklichkeitsschöpfende, performative Dimension von Gossip geht, steht in Emma die spekulative und normierende Funktion im Vordergrund. In Emma wird gemutmaßt, geschätzt, geraten und widerrufen, und auch ge-, be-, ver- und vorverurteilt. Begreift man Gossip als Kommunikationspraxis, die vornehmlich Frauen zugeschrieben wird, so ist es allerdings auffällig, dass in beiden Filmen auch Männer in die Zirkulation von Nachrichten und Mitteilungen eingebunden sind. Im Anschluss an die vorangegangene Analyse werde ich im Folgenden untersuchen, welche Rolle die Geschlechterdifferenzierung in Emma spielt, wie die sich über Gossip herausbildenden Formen von Kollektivität und Gemeinschaft zu fassen sind und welche Funktion der Protagonistin für die ästhetische Erfahrung zukommt. D.h. ich werde herausarbeiten, auf welche Weise sich der kinematographische Modus des Gossip durch Emma realisiert und auf welche Weise die herausgearbeiteten raumzeitlichen Inszenierungen auch diesen Film bestimmen. Dabei geht es mir zudem darum,das sich durch die Affektdramaturgie konstituierende Zuschauerinnengefühl hinsichtlich des Subjekts, das sich auf eine Kollektivität hin entwirft, zu reflektieren. Dazu werde ich die Inszenierung der freien indirekten Rede, die sich zwischen einer allgemeinen und einer personalen Erzählposition aufspannt, und die Figuration einer Gemeinschaft durch die Protagonistin sowie Tanz als soziales Ordnungsprinzip analysieren.

3.3.1. Die Inszenierung der freien indirekten Rede

In Emma geht es um Emma Woodhouse, eine junge Frau aus gutem Hause zu Beginn des 19. Jahrhunderts im ländlichen England, die über Briefe, Nachrichten und Einladungen versucht, Beziehungen zu stiften, was ihr – entgegen ihres eigenen Eindrucks – mehr schlecht als recht gelingt. Die raumzeitlichen Koordinaten der Handlung entfalten sich gleich mit dem Vorspann des Films als subjektive Perspektive, die zugleich objektiv ist.


Prolog von Emma (UK/USA 1996, Douglas McGrath) (0:0:18–0:04:17)

Emma beginnt mit einem schweifenden Blick ins Weltall, in einen schwarzen Raum mit weißen Pünktchen, in dem sich eine Erdkugel rasend dreht, tanzt und langsam auf uns zu bewegt, um dann in einem schwungvollen Bogen als gemalte Landkarte zu erscheinen, welche die verschiedenen Orte und Figuren versammelt. In einer schwungvollen Rückwärtsbewegung, die sich sodann als Geste der Hauptfigur erweist, die ihrem ehemaligen, nun frisch vermählten Kindermädchen, Ms. Taylor alias Mrs. Weston, jene Erdkugel, die sich als selbst gebastelt erweist, beglückwünschend überreicht, führen die Bilder zu einer Hochzeitsgesellschaft.

Diese erste Szene (0:0:18–0:04:17) führt die spezifische Raumzeitgestaltung von Gossip kinematographisch ein: die Relativität von Zeit und Raum, die Untrennbarkeit von Subjekt und Objekt, die Konstitution von Gemeinschaft über Gespräche in kleinen Kreisen. Das übermäßig schnelle Drehen des Erdballs markiert die raumzeitlichen Relationen der Diegese – je höher das Tempo, desto kleiner der Raum und desto langsamer die Zeit. Zudem etablieren der Zoom auf die Orte und Figuren, die Haptik des Selbstgemalten, sowie die deutende voice over der Erzählerin eine relationale, subjektive Dimension, die einer Frau zugeschrieben wird: „In a time when one’s world and the actions of a dance excited greater interest than the movement of armies, there lived a young woman who knew how this world should be run.“

Die Szene etabliert Emma als Subjekt des Films und gleichzeitig als Objekt der Handlung und des Blicks der Zuschauerin. Der Eindruck der tanzenden Erdkugel erfährt durch die Aussage der voice over eine noch stärkere Gewichtung als grundlegende subjektive Weltwahrnehmung. Auf der einen Seite lassen sich die Bilder als Perspektive der Hauptfigur definieren, zum anderen spricht der Film über sie in der dritten Person. Der Beginn des Films präsentiert eine Weltwahrnehmung, die sich – ebenso wie in Easy A – genau in der Spannung zwischen subjektiver und objektiver Sicht manifestiert und die auf der Ebene des Bildraums – anders als in Easy A – mit dem literaturwissenschaftlichen Begriff der freien indirekten Rede gefasst werden kann.

Pier Paolo Pasolini hat dieses Konzept für den Film adaptiert (vgl. Pasolini 1976). Während in Bezug auf den Roman als Ausdruck von Gedanken eines Charakters ohne Anführungszeichen gesprochen wird, sodass nicht unterscheidbar ist, ob die Erzählerin oder die Figur spricht (z.B. Ist es wirklich zu spät?), manifestiert sich die kinematographische Erzählperspektive zwischen subjektivem, figurengebundenem point of view und objektivem Kamerablick. Für Gilles Deleuze stellt eine solcherart inszenierte Perspektive das Wahrnehmungsbild dar, das er als ‚freies indirektes, subjektives Bild‘ bezeichnet. Er erklärt:

Es geht dann nicht mehr darum, ob das Bild objektiv oder subjektiv ist: es ist halbsubjektiv, wenn man so will, aber diese Halbsubjektivität zeigt nichts Veränderliches oder Ungewisses mehr. Sie kennzeichnet nicht mehr ein Oszillieren zwischen zwei Polen, sondern eine Fixierung gemäß einer höheren ästhetischen Form. (Deleuze 1997a, 109)

Während Deleuze die ‚Fixierung‘ des Halbsubjektiven betont, ändert sich im Laufe von Emma allerdings der Status der Bilder – und damit auch die Haltung der Zuschauerin zur Hauptfigur, wie ich noch ausführen werde. Nichtsdestoweniger bleibt das Spannungsverhältnis zwischen subjektiver und objektiver Sicht den Bildern eingeschrieben. Ohne weiter auf die filmwissenschaftliche Diskussion um den auditiv wie visuell bestimmbaren point of view und die Rolle der Kamera einzugehen, möchte ich betonen, dass es in Emma ebenso wie in Easy A entscheidend für die filmische Perspektivierung und das Zuschauerinnengefühl ist, inwiefern eine auktoriale Stimme spricht oder eine innerdiegetische Figur und ob wir uns auf einer subjektiven oder objektiven Ebene befinden.

Im weiteren Verlauf der Anfangssequenz setzt sich die Perspektive der freien indirekten Rede fort: Mit der Hochzeitsfeier präsentiert sich ein bühnenähnlicher Handlungsraum, der Emma ins Zentrum des Bildes stellt und damit ihre Funktion als Mittlerin der Gemeinschaft unterstreicht. Wie ein Vorhang gibt die Kamera den Blick auf das Geschehen frei, indem sie sich langsam von der Hauptfigur entfernt. Anders als wenn der Vorhang sich öffnet (sei es im Theater oder im Kinosaal) und der Blick des Publikums in das Geschehen hineingezogen wird, zeigt sich in Emma die Handlung der Zuschauerin durch die zurückfahrende Kamera in einer distanzierenden Bewegung. Links sind die frisch vermählten Westons und die brabbelnde Ms. Bates, eine alte Freundin, zu sehen, rechts Mr. Woodhouse, der Vater von Emma, und Mr. Elton, der Pfarrer. Während anstandsgemäße Glückwünsche und doppeldeutige Lobeshymnen ausgesprochen werden[51], passieren Hochzeitsgäste von beiden Seiten Vorder- und Hintergrund. Ein Bild von Teilhabenden und Anteilslosen deutet sich an, so wie alle Szenen des Films von Auf- und Abgängen, durch Zimmertüren und Gartentore bestimmt sind. Allmählich schließt sich die Szenerie wieder. Die Anfangssequenz des Films endet mit einer Einstellung, in der die Rollenprosa, d.h. die anstandsgemäße Rede, zum individuellen Ausdruck übergeht. Wenn das Gesicht Gwyneth Paltrows alias Emma Woodhouse ganz nah erscheint und, gemeinsam mit den süßlich-schweren Flöten, den Verlust des ehemaligen Kindermädchens bekundet, bricht die Distanz der Zuschauerin zur Hauptfigur auf. Die letzten Bilder sprechen eine individuelle Empfindungsdimension an. Mit der freien indirekten Rede wird das für den kinematographischen Modus des Gossip typische Merkmal offensichtlicher Subjektivität bereits in der ersten Sequenz eingeführt.

3.3.2. Emma als kinematographische Figuration einer Gemeinschaft

In Emma wird in Zweier-, Dreier- oder anderen Kleingruppenkonstellationen pausenlos geredet, über Anwesende geflüstert, über Abwesende getratscht. Ein Gespräch wird hier begonnen und dort fortgesetzt, jetzt aufgenommen und später weitergeführt, manchmal auch von einer anderen Person. Gruppenformierungen ändern sich fortwährend, so wie Zeit und Ort mit jeder Szene wechseln. Ein Figurennetzwerk entspannt sich so über einen größeren, wenn auch überschaubaren Raum: Highbury.

Dieses sich – durch kollektive Interaktion, wie man im Anschluss an die Analyse von Easy A sagen könnte – entspannende Figurennetzwerk gründet in einer Person, Emma Woodhouse. Die Protagonistin wird in dem Filmals Figur konzipiert, deren Aufgabe es ist, via Gossip passende Vermählungen zu initiieren. Pausenlos ist Emma damit beschäftigt, Gesehenes weiterzutragen und Gehörtes wiederzugeben. Spekulationen erscheinen in den Augen Emmas als Tatsachen, die sich im besten Fall als Beziehungen realisieren. Stets geht es darum herauszufinden und weiterzutragen, wer mit wem wann und wie (am besten) verkehrt. Dabei wird deutlich, dass die Teilhabenden selbst zum Objekt des Hörensagens werden (vgl. auch Spacks 1985, 165). So wie Olive das ‚erste Mal‘ verkörpert (welches die kollektive Kommunikationspraxis initiiert und strukturiert), verkörpert Emma die Bezugsquelle des „man sagt“. Die Hauptfigur ist Objekt und Subjekt zugleich. Einerseits erleben wir sie, ähnlich wie Olive, als diegetische Figur, andererseits betrachten wir zugleich die Welt durch ihre Augen. D.h. wir blicken mit Emma und auf Emma. Allerdings ist die Perspektive Emmas ebenso wenig als eindeutig subjektiv zu bestimmen, sondern impliziert auch eine objektive Dimension – ebenso wenig ist der Blick auf Emma nicht einfach als objektiv zu bezeichnen. In dem nicht auflösbaren Spannungsverhältnis zwischen subjektiver und objektiver Perspektive im und durch den Film und dem steten Changieren zwischen individueller und allgemeiner Ebene entfaltet sich in der Erfahrungsmodalität Emmas eine grundsätzliche Erscheinungsform von Gossip, nämlich jene der kollektiven Subjektivität –,das nicht zu verwechseln ist mit dem in Easy A definierten Zuschauerinnengefühl der subjektiven Kollektivität. D.h. während Easy A ein Zuschauerinnengefühl der subjektiven Kollektivität hervorbringt, bei dem es eher um ein individuelles, subjektives Gefühl von Zugehörigkeit durch Teilhabe geht, hebt Emma auf eine allgemeinere Dimension ab und reflektiert vor allem, wie sich Kollektivität formiert.

So erscheint es folgerichtig, an dem Gelingen des matchmaking durch Emma als individuelle Figur zu zweifeln. Vielmehr fungiert die Protagonistin als Figuration einer kollektiven Äußerung und Repräsentantin einer Gemeinschaft, wie sie in der anfangs etablierten Perspektive der freien indirekten Rede angelegt ist. Narrativ wird dies gleich zu Beginn thematisiert. Da stellen Mr. Knightley und Emmas Vater in den intimen Räumen der holzgetäfelten Hausbibliothek in Abrede, dass die Hochzeit der Westons tatsächlich Emmas Tun zu verdanken ist. „It was nothing but a lucky guess“, erklärt Mr. Knightley, woraufhin Emma erwidert, dass sich gerade durch diese Spekulation, den „lucky guess“, die Beziehung realisieren konnte. Sie habe Mr. Weston extra häufig zu geselligen Abenden eingeladen, damit dieser Miss Taylor kennenlernen könne.

Die darauffolgende Szene legt allerdings nahe, dass Emma nicht so fest die Fäden in der Hand hält, wie sie es sich wünscht. Als sie nämlich Mr. Elton, den Pfarrer, einlädt, um ihn mit Harriet Smith, einer Bekannten, zu verkuppeln, gibt es keinen einzigen Hinweis darauf, dass sich bald ein weiteres Paar finden wird. Neben einem kurzen peinlichen Moment der Vorstellung zeigt der Film Mr. Elton stets im Gespräch mit anderen Gästen der Abendgesellschaft. Zudem lässt die ausgestellte Freundlichkeit und Höflichkeit Mr. Eltons gegenüber Emma bei einer späteren Party, der Harriet nicht beiwohnen kann, vermuten, dass der Pfarrer in Sachen Heirat ganz andere Intentionen hat als von der Protagonistin vorgesehen. Sein Begehren richtet sich nämlich auf Emma. Schließlich heiratet er standesgemäß eine wohlhabende Frau aus Bath, nachdem er von Emma auf dem Heimweg in der Kutsche eine eindeutige Abfuhr erhalten hat. In der Logik der Hauptfigur und damit auch in jener des kinematographischen Modus des Gossip ist es nur konsequent, dass Emma sich nicht auf Mr. Elton einlässt, fungiert sie zu diesem Zeitpunkt doch noch als Bindeglied und nicht als Teilhaberin am Gesellschaftsspiel.

Der Protagonistin obliegt es vor allem, das Geschehen zu kommentieren und einzuordnen. Dadurch bildet sie den Dreh- und Angelpunkt des Gemeinwesens, das sie so zugleich herstellt. Emma fungiert in dem Film genauso wenig wie Olive als psychologisch greifbarer Charakter[52], sondern als Mittlerin, die dazu dient, Ereignisse, Orte und Personen zusammenzubringen. Stets ist sie im Bild zu sehen, es gibt kein Gespräch, das ohne sie stattfindet, obgleich sie selbst lange Zeit nicht das Objekt der Begierde darstellt. Sie fungiert als Zentrum des Films, von welchem aus es die Liebeshändel zu durchschauen und zu beeinflussen gilt. Da das matchmaking zugleich die sozialen Beziehungen strukturiert, konstituiert das Liebespiel nichts anderes als die Gemeinschaft selbst: „A match well made, a job well done.“

3.3.3. Sprechen, Schwafeln, Schweigen

Mit der Inszenierung der Protagonistin realisiert sich eine die gesamten Einwohnerinnen Highburys umfassende Kommunikationspraxis. Während es in den Analysen von Miss Congeniality und Easy A um die Performativität und die Wirkmächtigkeit von Sprechakten ging, drängt sich mit Emma vor allem die Frage nach deren Funktion auf. Die Wirkmächtigkeit von Sprechakten misst sich in Emma noch weniger an dem Inhalt der Aussagen, als vielmehr an den jeweils am Gossip Beteiligten. So stehen in diesem Film das Weitertragen des Gerüchts und die um die individuelle Interpretation erweiterte Information im Vordergrund. Auch Deleuze weist darauf hin, dass es in Sprechakten nicht nur darum geht, Aussagen zu machen oder die Welt zu beschreiben, sondern insbesondere um die eigene Artikulationsmöglichkeit und um die Interaktion mit Anderen. Sprechakte stellen für Deleuze Interaktionen dar (Deleuze 1991, 296; vgl. auch Siegel 2010, 43). Er erklärt:

Die Interaktionen zeigen sich in den Sprechakten. Gerade deswegen, weil sie von Individuen nicht explizit gemacht werden, aber auch nicht von einer Struktur herrühren, beziehen sich die Interaktionen nicht einfach auf die Partner eines Sprechakts; vielmehr ist es der Sprechakt selbst, der selbständig zirkuliert, sich ausbreitet und entwickelt und dadurch die Interaktionen zwischen entfernten, zerstreuten und einander gleichgültigen Individuen oder Gruppen herstellt. (Deleuze 1997, 291f.)

In diesem Sinne lässt sich Deleuze’ bereits angeführte Sichtbarmachung kinematographischer Sprechakte verstehen. Die Sprechakte stellen keine Gespräche im Sinne von Aktion und Reaktion einzelner Individuen dar, sondern soziale Verbindungen. So verwundert es nicht, wenn in Emma unentwegt gesprochen wird und kein einziges Gruppenbild existiert, in dem die Figuren schweigen; stellt sich der Film doch ebenso wie Easy A als Auseinandersetzung mit der Organisation von Sozialität anhand der Konstitution einer Gemeinde dar. Emma präsentiert das relativ überschaubare Gesellschaftsleben Highburys, das sich durch eben jene Gesprächsfreudigkeit konstituiert. Wenn geschwiegen wird, hat es entscheidende Konsequenzen, etwa in der Picknickszene, in der Emma Ms. Bates ihre Geschwätzigkeit vorwirft. Dann herrscht plötzlich Grabesstille. In diesem Fall hat Emma sogar recht, aus Ms. Bates Mund kommen nur schiefe Töne. Der Film inszeniert ihre Stimme als Quelle von Gerede und nicht als Rede. Kein einziges sinnvolles Wort enthielten ihre Beiträge, wirft Emma ihr vor und macht damit die gesamte Ausflugsgesellschaft mundtot. Der Redefluss ist unterbrochen. Nach und nach verlassen die Figuren aus offensichtlich fadenscheinigen Gründen den Platz im Grünen, die soziale Konstellation löst sich auf. Sprechakte bedeuten in Emma Interaktionen und konstituieren in ihrem Vollzug eine Gemeinschaft; zugleich definieren sie Machtverhältnisse, die über In- und Exklusion von Subjekten entscheiden bzw. diese überhaupt erst – im Sinne von Sicht- und Hörbarmachung – hervorbringen.

In Emma verkörpert das Figurenensemble eine Gemeinschaft, die sich durch die Praxis des Gossip konstituiert. Wer mit wem wann zu sehen ist und wer sich wie am Geschehen, d.h. am Austausch über die neuesten Nachrichten beteiligt, ist in dem Film ebenso entscheidend wie die Frage, wer mit wem eine Liebesbeziehung eingeht. Um Teil der Gemeinschaft zu sein, muss man – wie in Easy A – im Gespräch bleiben bzw. Teil des Gossip von Highbury werden. Um als Gerücht zu zirkulieren, muss man eine potentielle Heiratskandidatin darstellen. Man kann also nur mittels Liebesbeziehung, die über Gossip konstituiert wird, zur Gemeinschaft dazugehören. So ist es kein Zufall, dass der brabbelnden Ms. Bates und ihrer taubstummen Mutter die Rolle der alten, armen Jungfer zukommt und dass sie von der Gemeinschaft ausgeschlossen sind. Beide verstehen es nicht, sich mittels adäquatem (Sprech-)Verhaltens an dem Liebesspiel zu beteiligen. Während Ms. Bates ohne Unterlass spricht und doch nichts Neues hervorzubringen vermag, ist Jane Fairfax, die Nichte von Ms. Bates, wie Ms. Bates Mutter durch ein Schweigen gekennzeichnet und steht damit ebenfalls außerhalb des Gesellschaftsspiels. Allein ein kurzes Duett mit Frank Churchill, ihrem heimlichen Verlobten und Sohn des frisch vermählten Mr. Weston, verweist auf eine zukünftige Aufnahme in die Gemeinschaft. Churchill und Emma werden wiederum genau deswegen als harmonisches Paar empfunden, da sie von der ersten Begegnung an ein witziges und auch intimes Gespräch vereint. Sie spekulieren gemeinsam über mögliche Paarkonstellationen, wenngleich Churchill Emma letztendlich hinters Licht führt und sich seine Spekulationen als bewusste Lügen herausstellen. Die scheinbare Vertrautheit der beiden findet ihren Höhepunkt ebenfalls in einem Duett am Klavier. Wie Ms. Bates lässt auch Mrs. Elton, die neue Frau aus Bath, Emma nicht zu Wort kommen, weil sie pausenlos ihr eigenes Verhalten loben muss. Harriet wiederum äußert keine eigene Meinung und fungiert als Sprachrohr und Verstärker Emmas. Dem gegenüber sind Mr. Knightleys Einschätzungen gestellt, der bis auf eine kleine Ausnahme hinsichtlich der kurzzeitigen Unterschätzung Harriets stets den Überblick behält und als Richter von Emmas Aussagen und Handlungen fungiert.

3.3.4. Der Tanz als Inszenierungsmodus sozialer Ordnung

Die Art und Weise, wie Gossip die sozialen Beziehungen strukturiert, findet sich auch in dem Motiv des Tanzes als Konversationsform wieder, das zugleich als Sujet und ästhetische Raumzeitfiguration fungiert. Gleich zu Beginn etabliert der Vorspann mit der Bewegung der sich drehenden Erdkugel den Film als eine schwungvolle Geste. Diese wird aufgenommen in der weiblichen voice over, die erklärt, dass es eine Zeit gab, in der die Welt des Tanzes größeres Interesse bei jemandem geweckt habe als die Bewegung von Armeen („In a time when one’s world and the actions of a dance excited greater interest than the movement of armies, there lived a young woman who knew how this world should be run.“). Dadurch wird der Tanz sowohl als Motiv der Diegese eingeführt als auch als Sujet und Filmbewegung. Die Musik bildet ein wichtiges Element in Emma und kommentiert die einzelnen Szenen, etwa wenn Emma Abschied von ihrem ehemaligen Kindermädchen nehmen muss und die Flöten süßlich-schwer aufspielen.


Ball der Westons in Emma (UK/USA 1996, Douglas McGrath) (1:12:40–1:20:32)

Bei einem Ball der Westons (1:12:40–1:20:32) kommen Musik, Tanz und die soziale Ordnung in einem Bild zusammen, das exemplarisch für den kinematographischen Modus des Gossip in Emma steht. Unentwegt trifft das Figurenpersonal des Films in unterschiedlichen Konstellationen (als Zweier-, Dreier- oder Gruppengespräch) zusammen und unterstreicht durch die unterschiedlichen Kommunikationssituationen (intim, öffentlich, disharmonisch, symmetrisch, dynamisch) die verschiedenen Positionen der Gesellschaftsmitglieder. So betreten Frank und Emma gemeinsam das Haus und trennen sich kurz darauf, da Jane Fairfax zusammen mit Mrs. Elton ankommt. Daraufhin übernimmt Ms. Taylor/Mrs. Weston das Gespräch mit Emma, während Mr. Weston, der übrigens entgegen der gesellschaftlichen Regeln zum zweiten Mal geheiratet hat, umzingelt ist von einem Grüppchen junger, lachender Damen. Als Ms. Bates erscheint, bringt sie die umstehenden Gäste mit ihren nicht anschlussfähigen Wiederholungen wieder zum Schweigen. Ihr ewiges Kommentieren des – im wörtlichen Sinne – Offensichtlichen beschwört einen Stillstand des Geschehens und eine allumfassende Gegenwart, die weder Vergangenheit noch Zukunft kennt. Die alte Ms. Bates kann nur hören, aber nichts sagen, nur sehen, aber nichts zeigen. In der beschriebenen Figuration der kollektiven Äußerung, der fortwährenden Verwandlung von der ersten in die dritte Person ist eine Zeitlichkeit angelegt, die Vergangenheit und Zukunft in der Form von Gossip vereint. Denn, wie Siegel schreibt: „Ich werde zu dem ‚er‘ oder zu der ‚sie‘, die irgendetwas getan hat, gewesen ist oder gesagt hat.“ (Siegel 2006, 77) So kann die Handlung erst ihren Fortgang nehmen, als Ms. Bates einen anderen Gast begrüßen möchte. Figuren treten auf und ab, Türen bilden einen wichtigen Bestandteil der mise en scène.

Gemeinschaft und Gesellschaft fallen in Emma zusammen. Als die Musik zum Tanz aufspielt, bilden sich Paare auf dem Parkett und markieren das Zentrum des Bild– und Handlungsraums. Emma tanzt mit Frank Churchill, allerdings nicht ohne sich zuvor darum kümmern zu wollen, dass Harriet, die verlassen am Rande steht, noch in die gemeinschaftliche Bewegung eingebunden wird. Nachdem sie von Mr. Elton, der nach Emma um Harriets Hand hätte anhalten sollen, schroff abgewiesen wird, fordert Mr. Knightley sie zum Tanzen auf. Dieser Akt lässt sich als Integration in die Gemeinschaft verstehen, die zuvor durch die Absage von Mr. Elton verweigert wurde. Später wird Harriet den Farmer Mr. Martin heiraten und damit ihre zugewiesene Position innerhalb der Gesellschaft, allerdings nicht auf derselben Stufe wie Emma und Mr. Knightley, einnehmen.

Nach dem Tanz finden sich Emma und Mr. Knightley im Freien wieder und besprechen den Verlauf der Abendgesellschaft. Gemeinsam stehen sie im Dunkeln und blicken durch das Fenster auf den hell erleuchteten Saal. Bildlich beschreibt der Film Emmas – und nun auch Mr. Knightleys – Position der Beobachterin und der Teilhabenden. Beide sind Teil des Gesellschaftsspiels und suchen dieses zugleich zu beurteilen. Ähnliches realisiert sich auf der Zuschauerinnenebene. Haben wir uns gerade noch tanzend inmitten des Geschehens befunden, rückt der Film uns abrupt auf Distanz, wenn wir das Gespräch zwischen Emma und Mr. Knightley beobachten. Dies tut dem eigenen Empfinden für das Begehren der Figuren allerdings keinen Abbruch, sondern verstärkt nur die Neugier oder vielmehr die Ungeduld, die sich damit verbindet, wann die beiden sich endlich als Liebespaar vereinen.

Die Verzögerung des Zusammenfindens aller Paare strukturiert die Dramaturgie des Films, die sich durch die Zukunftgerichtetheit von Gossip auszeichnet. Die Produktion von Gerüchten verweist immer schon auf das Weitertragen. Nicht gilt es, eine Botschaft einer Adressatin zu überbringen, sondern vor allem den Austausch fortzuführen. Das Hörensagen bzw. das Sehenzeigen impliziert, dass beides zugleich vonstatten geht, die Rezeption und die Produktion eines Gerüchts. Gossip kennzeichnet eine Vorwärtsbewegung, die auf einer „spekulativen Beziehung zur Vergangenheit“ beruht (Siegel 2013, 96). Die auf eine Zukunft hin ausgerichtete Handlung von Emma, nämlich das finale Zusammenkommen der Protagonistin mit Mr. Knightley, wird vor allem deshalb als spannungsvoll erlebt, weil es gewissermaßen kein Geheimnis darstellt, dass die beiden sich finden werden, sondern die bis aufs Ende hinausgeschobene Vereinigung ein Zuschauerinnengefühl des Nichterwartenkönnens inszeniert.

Beim Gerücht handelt es sich nach Casey Finch und Peter Bowen um ein „secret that is no secret“ (Finch/Bowen 1990, 2). Mit Blick auf die Romanvorlageschreiben sie:

Gossip travels fast because in a sense it is always already known; it is not news at all but part of a social agenda already recognized by the community and already unconsciously internalized by what Austen – underscoring the theatricality of gossip – calls the ‚principals’ of the marriage plot. (Ebd., 1)

Nicht nur wissen wir von der Vereinigung von Mr. Knightley und Emma eigentlich bereits zu Beginn des Films, weil dies durch den Roman bekannt ist oder das Genre des Liebesfilms diesen Ausgang notwendig macht, sondern auch aufgrund der Inszenierung der beiden Figuren, die im verbalen Schlagabtausch und der symmetrischen Anordnung ein typisches ästhetisches Verfahren der Screwball Comedy darstellt (vgl. Greifenstein 2013). Emma und Mr. Knightley finden sich in ähnlich harmonischer Anordnung präsentiert wie Churchill und Emma, weswegen es neben der narrativen Ebene auch auf affektiver Ebene tatsächlich für kurze Zeit unklar ist, mit wem Emma sich letztendlich zu einem Paar vereint.

3.3.5. Die Affektdramaturgie partizipierender Beobachtung

Die Spannung zwischen subjektiv und objektiv, öffentlich und privat sowie Gemeinschaft und Gesellschaft entfaltet sich in einer Erfahrungsmodalität zwischen Partizipation und Beobachtung, die ich als Subjektivität verstehe, die auf eine Kollektivität abhebt, und die im Laufe des Films, d.h. durch die Affektdramaturgie die Haltung der Zuschauerin zum Film transformiert. Anders als bei den in Kapitel 2 analysierten Hauptfiguren ändert sich – wie Olives – auch Emmas Perspektive und Einstellung mit dem Fortgang des Films und zeitgleich auch jene der Zuschauerin (die allerdings nicht mit der Perspektive der diegetischen Hauptfigur gleichzusetzen ist). Während Emma zu Beginn noch als Mittlerin auftritt, wird sie mehr und mehr zum Teil des Geschehens. Das Spannungsverhältnis zwischen subjekter und objektiver Perspektive wandelt sich von einer eher objektiven zu einer subjektiven Sichtweise. Sind wir zunächst noch imstande, über Emmas Einstellungen und Urteile zu urteilen, interessieren wir uns zunehmend für die persönlichen Angelegenheiten von Emma und teilen ihre Perspektive und ihr Empfinden. Je mehr ihr eigenes Begehren in den Vordergrund rückt, desto stärker wird sie selbst in den Liebeshändel involviert und desto weniger wissen wir um die passenden Beziehungen. Ob Frank Churchill oder Mr. Knightley sich als der Richtige erweisen wird, bleibt lange Zeit unklar.

Gleichzeitig stellt sich das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit immer mehr als uneindeutig heraus. In Emma ist das Private öffentlich und das Öffentliche privat, wie Finch und Bowen prägnant für den Roman und auch grundsätzlich für Gossip, der sich in diesem Sinne als ästhetische Form, als Roman, darstellt, wie folgt formulieren:

Highbury’s adoption of individual’s citizens‘ concerns […] marks how deeply private acts and family correspondence are inscribed within community affairs. In fact, the principle of gossip, the gesture by which anyone’s business is made everyone’s, provocatively questions the very nature of private business or, rather, the business of privacy. And if everyone – a term that must remain as univocal as it is anonymous – is curious about the community’s members (both leading and lesser citizens), all of this takes place in a novel that […] no one seems to narrate. While the free indirect stylist blurs the narrative distinctions between objective and subjective discourse, she blurs too the proprietary difference between communities and individuals. For if the power of the community is enforced and represented by voices that seem to be everywhere and nowhere at once, the voice of the individual, the community’s most private property, is represented in publicly circulating letters and interior monologues that somebody, although it is never clear who, overhears. (Finch/Bowen 1990, 10)

Individuelle Angelegenheiten werden zu gemeinschaftlichen, privates Glück entscheidet über das gesellschaftliche Wohl. Das Gerücht ist allgegenwärtig, überall dort, wo Menschen reden, und zugleich unsichtbar, da es weder eindeutige Übermittlungswege noch Quellen gibt. Nicht zufällig tragen sich die meisten Begegnungen in Emma im Empfangssalon zu, den Michail M. Bachtin beschreibt als:

[…] die Verflechtung des Historischen und Gesellschaftlich-Öffentlichen mit dem Privaten und sogar höchst Privaten, Intimen; die Verflechtung der privaten Alltagsintrige mit der politischen und finanziellen, des Staatsgeheimnisses mit dem Bettgeheimnis, der historischen Reihe mit der alltäglichen und biographischen. Hier sind die anschaulich sichtbaren Merkmale der historischen wie auch der biographischen und alltäglichen Zeit verdichtet, kondensiert und gleichzeitig aufs engste miteinander verflochten, zu einheitlichen Kennzeichen der Epoche zusammengeflossen. (Bachtin 2008, 184)

Wenn die eher distanzierte Position der Zuschauerin zu dem Geschehen anfangs darauf verweist, dass private Beziehungen von öffentlichem Interesse sind, da sie offenkundig in der Gemeinschaft diskutiert werden, zeigt der zweite Teil des Films, der für mich mit dem Auftritt Frank Churchills beginnt, wie öffentliche Belange zu privaten Angelegenheiten werden. Allmählich werden die einzelnen Interaktionen zu Emmas persönlicher Sorge, etwa wenn Mr. Elton ihr statt Harriet seine Liebe gesteht, Frank Churchill sich mit Jane Fairfax verloben will oder wenn sie plötzlich fürchtet, dass Mr. Knightley und Harriet ein Paar werden könnten. Je stärker wir uns der subjektiven Dimension von Gossip gewahr werden, desto mehr zeigt sich, wie das Individuum in einer Gemeinschaft aufgeht.

Dies möchte ich anhand des mittleren Teils (0:44:14–1:02:35), um den Auftritt Churchills, der den Wendepunkt der Handlung darstellt, verdeutlichen. In der ersten Szene wird die den gesamten Film strukturierende Spannung etabliert, die sich zwischen bühnenhafter Darstellung, in welcher der Sprechakt als Rede inszeniert ist, und diegetischer Subjektivität, die den Sprechakt im Sinne Deleuze’ als Teil des visuellen Bildes fasst, entfaltet. Diese Spannung transformiert sich in der Dauer der Rezeption in dem Maße wie sich Emma ihrer Subjektivität bewusst wird und sich ihre Haltung zur Welt verändert.[53]

Wir werden im zweiten Teil in die Zu- und Einordnungsprozesse hineingezogen und verlieren somit die kritische Distanz, die wir im ersten Teil noch meinten innezuhaben.Mit dem Auftritt Churchills ändert sich der inszenatorische Modus des Films und der Status der Bilder. Während die anfänglich halbsubjektive Perspektive die diegetische Welt zunächst transparent erscheinen lässt, verlieren wir mit der sich steigernden Subjektivierung der Bilder den Überblick über die sozialen Konstellationen.

In dem Maße wie Emma selbst in das Gesellschaftsspiel hineingezogen und zum Objekt des Gossip wird, wandelt sich der Aufführungsmodus zum Drama. Das gesellschaftliche Gefüge verdichtet sich. Zugleich realisiert sich ein Empfinden für die Protagonistin. In der zweiten Hälfte zeigt der Film zahlreiche Nahaufnahmen der Hauptfigur, dazu kommen innere Monologe und die vermehrte Gestaltung dunkler, enger, intimer Räume, die mit Spiegeln ausgestattet sind. Die subjektive Dimension findet ihren Höhepunkt, wenn Emma im Selbstgespräch über ihre Liebe zu Churchill sinniert, sie mit sich selbst kommuniziert und die Gedanken einzig als Filmerfahrung, auf der Seite des Publikums, nachhallen.

Nach der großen Enttäuschung, da sich keine Liebesbeziehung zwischen Harriet und Mr. Elton entspinnt, was für die Zuschauerin von vornherein als ausgeschlossen, zumindest unwahrscheinlich erscheint, trösten sich die Freundinnen mit den Welpen im Stall. In den darauffolgenden Minuten verändert sich die Bildsprache, komprimieren sich Zeit und Raum. Orte und Figurenkonstellationen wechseln in hohem Tempo, Dialoge werden hier begonnen, dort fortgesetzt, teils von verschiedenen Schauspielerinnen. Der Sprechakt verselbständigt sich, Orte werden miteinander verbunden, Figuren miteinander verknüpft, Interaktionen sichtbar gemacht. Der Film erscheint als unbestimmter Sprechakt, der „zirkuliert und sich verbreitet, während lebendige Interaktionen zwischen unabhängigen Figuren und entfernt liegenden Plätzen sichtbar werden.“ (Deleuze 1997, 293[54])

Der kinematographische Modus des Gossip realisiert sich mehr und mehr als Zuschauerinnengefühl, d.h. immer weniger wird unterscheidbar, was subjektiv und was objektiv ist. Wer mit wem wann einen Bund schließen wird (Mr. Knightley und Jane Fairfax, Jane Fairfax und Frank Churchill, Frank Churchill und Emma, Emma und Mr. Knightley, Mr. Knightley und Harriet, Harriet und Mr. Martin), bleibt für die Figuren gleichermaßen offen wie für die Zuschauerin. Erst am Ende verwirklichen sich alle potentiellen Verbindungen. Die fortwährenden Spekulationen kommen zum Stillstand, die Gemeinschaftsbildung zum Abschluss. Der finale Kuss von Emma und Mr. Knightley markiert das Ende des Gesellschaftstheaters. In diesem Moment wird Emma ganz und gar als Teifootl der Gemeinschaft integriert, ihre und die Beobachterinnenposition der Zuschauerin werden aufgelöst.[55]

Im Anschluss an das in Easy A analysierte Zuschauerinnengefühl der Kollektivitiät, das in einer Erfahrungsmodalität von Zugehörigkeit durch Teilhabe gründet, lässt sich mit Blick auf Emma eine ähnlich ausgerichtete ästhetische Erfahrung beschreiben. Auch mit Emma artikuliert sich eine Position, die sich in einer Form von Kollektivität entlädt. Durch die Transformation von einer eher objektiven zu einer subjektiven Dimension der Bilder, stellt sich Emmas Perspektive als jene aller Einwohnerinnen dar. Rückblickend zeigt sich: Emmas Sichtweise ist zugleich die von Highbury und diese wiederum entspricht der von Emma (vgl. auch Finch/Bowen 1990, 8).

3.3.6. Normierende Omnipräsenz

Durch die Hauptfigur stellt sich Gossip als kollektive Kommunikationspraxis und zugleich als subjektive Ausdrucksform dar, die sich netzwerkähnlich, über Figuren und Orte als spezifische Raumzeit entspannt. Einerseits markiert die Protagonistin das Zentrum des Films, anderseits ist sie als Medium allgegenwärtig. Damit vollzieht sich auch mit Emma eine weitere, grundlegende Dimension von Gossip: die Omnipräsenz des Gerüchts. Dieser Charakteristik unterstellen Autorinnen wie Finch und Bowen, die Gossip grundsätzlich kritisch gegenüberstehen, eine normierende Wirkmächtigkeit. Sie sehen darin einen Kontrollmodus sozialer Ordnung, einen Mechanismus von In- und Exklusion. Gossip fungiere immer und überall als gesellschaftsregulierende Instanz, schreiben Finch und Bowen:

Gossip marks an oblique mode of control, a socio-discursive practice that both defines the community of its participants – solidifying, as Patricia Spacks has it, ‚a group’s sense of itself by heightening consciousness of ‚outside‘… and ‚inside‘ – and regulates the community from within by insinuation, rumor, threat of ostracism, and cover pressure. Rather than operating through overt acts of force imposed from without upon its subjects, gossip coerces by being irresistibly assumed by its subjects, taken up and passed on in an endless system of circulation. (Ebd., 2)

Inwiefern sich über Gossip ein ‚Außen‘ und ein ‚Innen‘ qua innerer Logik der Gemeinschaft konstituiert, habe ich sowohl anhand von Easy A als auch anhand von Emma gezeigt. Während Easy A dabei jedoch verschiedene Wirklichkeitsdimensionen herausstellt, zeichnet sich Emma, und damit schließe ich mich Finch und Bowen an, vor allem durch die Inszenierung einer hermetisch abgeschlossenen Gemeinschaft aus, die via strenger Selbstkontrolle funktioniert und eben nicht mittels übermächtiger Instanz gemaßregelt wird. Alles Private ist politisch und das Politische zeigt sich im Privaten. So dient der Ball als öffentliche Bühne für private Verbindungen, die immer auch die Allgemeinheit betreffen. Die Szene, in der Emma und Harriet von Obdachlosen im Wald überfallen werden, verdeutlicht, wie undurchdringlich der soziale Raum im Grunde ist.

Diesbezüglich ist zu unterscheiden, ob es um die Praxis, Gossip, geht oder um den Gegenstand, das Gerücht. Denn während Gossip sich als Interaktion eines sich konstituierenden Kreises von Eingeweihten, der zugleich Ausgeschlossene impliziert, realisiert und damit auf eine fassbare Gemeinschaft verweist, kennzeichnet das Gerücht, dass es gerade über eine bestimmbare Anzahl von Teilhabenden hinauswächst und somit als autonom und unkontrollierbar erscheint. So argumentiere ich, dass sich Emma auch deshalb als „mild system of surveillance and self-control“ (Finch/Bown 1990, 7f.) darstellt, da es noch weniger als in Easy A um den Inhalt von Gossip geht.

In Emma sind stets nur zwei oder drei Personen im Bild zu sehen, wenn es um den Austausch von Mitteilungen geht. Selten gibt es größere Gruppenszenen wie beim Abendessen zu Tisch, bei dem eine Neuigkeit verkündet wird. In diesen Fällen handelt es sich eher um konstative Aussagen als um Spekulationen oder Meinungen. Augenfällig ist, dass diese Kommunikationskonstellationen einem fortwährenden Wechsel unterworfen sind, so dass sich nicht nachvollziehen lässt, wie das Gerücht über wen weitergetragen wird. Spekulationen werden allgegenwärtig und führen sich wie von alleine fort, Ursprung und Gegenstand des Gossip rücken in den Hintergrund. In eben dieser Tatsache, dass sich der Verlauf des Gerüchts nicht verfolgen lässt und dass es nicht unterscheidbar ist, inwiefern es sich um eine Meinung, ein Vorurteil oder eine Nachricht handelt, sehen Finch und Bowen die normierende Funktion von Gossip.

In der Analyse des Romans kommen sie zu dem Schluss, dass die Erzählperspektive der freien indirekten Rede, die sich in dem Roman Emma in Form von Gossip ausdrücke, Machtverhältnisse naturalisiere. Gerade in der Ununterscheidbarkeit, in der Emma sowohl als individuelle Figur auftaucht als auch die gesamte Gemeinschaft vertritt und es nicht zu bestimmen ist, ob sie als Individuum spricht oder im Namen aller, entfalte sich eine Gesetzmäßigkeit, deren Ursprung und damit Grundlage und Legitimität nicht mehr nachvollziehbar sei und der deshalb eine normierende Funktion innewohne. Die mit Gossip einhergehenden Prozesse von In- und Exklusion würden in dem Roman als gegeben und damit unveränderbar präsentiert.

Für Finch und Bowen fungiert Gossip in der literarischen Version von Emma als eine Kommunikationsform für Frauen, die sich gerade nicht gegen die patriarchale Autorität stelle, sondern, im Gegenteil, diese noch verstärke, eben weil sie Praxis und Effekte als gegeben – und weiblich – ausstelle. Sie argumentieren:

But if gossip in Emma tends to operate as a hidden form of authority, at the same time the novel’s gossips are often perfectly visible, and still more often visibly female. For while gossip functions as a mode of social authority by hiding its agency, convention, as well as the novel itself, tends to Gender female (and therefore specific and visible) the practice and the practioners of gossip. (Finch/Bowen 1990, 2f.)

Als dezidiert weibliche Praxis würde Gossip trivialisiert, erklären Finch und Bowen:

Thrown surprisingly into relief, then, is the phenomenon of a conventionally female mode operating ultimately to reinforce patriarchal norms concerned, among other things, to trivialize gossip. Perhaps still more significantly, by simultaneously trivializing and privileging gossip, Austen effectively naturalizes this mode of exchange and renders its ‚truths‘ inevitable. (Finch/Bowen 1990, 3)

Auch im Film stellt sich Gossip nicht als alternative Kommunikationsform für Frauen dar, wie etwa Marc Siegel sie mit Blick auf Patrica Meyer Spacks beschreibt:

For women and others who were typically denied access to venues of public expression, gossiping fostered meaningful relationships by which they could test and exchange perspectives on the outside or official world. (Siegel 2010, 33)

Und dennoch wird sowohl durch Easy A als auch durch Emma deutlich, dass die als typisch weiblich definierte Kommunikationspraxis eben mehr ist als bloßer Zeitvertreib. Im kinematographischen Modus des Gossip werden nämlich der Austausch individueller Meinungen und Mitteilungen als grundlegende Struktur von Sozialität erfahrbar. Begegnungen passieren in Emma nie ohne Gespräch. Figuren und Orte verbinden sich über verbale Kommunikation. Die üblicherweise geächtete Praxis des Tratschens wird in der ästhetischen Erfahrung zur allgemeingültigen Perspektive, Spekulationen zu einer legitimen Weltsicht. Trotzdem fungiert Gossip in dem Film aber eben nicht als eine Praxis des Testens und Austauschs von Perspektiven in einem utopischen Sinne, sondern vielmehr als ein System der Überwachung und Selbstkontrolle, wie Finch und Bowen es beschreiben. Gossip regelt, wer wie an der Gemeinschaft teilhaben darf. Im Anschluss an Deleuze kann man die kinematographischen Sprechakte in Emma als Form der Sichtbarmachtung verstehen, anhand derer sich hierarchische Verhältnisse ablesen lassen.

Beständig formulieren die Bewohnerinnen Highburys qua Emma Vermutungen und Erwartungen, die sie mit Familienangehörigen, Bekannten oder Freundinnen teilen. Während die spekulative Seite den weiblichen Figuren zugeschrieben wird, dienen die männlichen Figuren, Mr. Knightley, Emmas Stiefbruder, ihr Vater und Mr. Elton, als Sprachrohr der vorherrschenden Ordnung. Emmas Vater wird als eine Figur beschrieben, die aufgrund des Alters den Überblick behält und sich von dem Gesellschafstheater distanziert. Mr. Elton ist als Pfarrer für die offizielle Legitimation der sozialen Bündnisse zuständig und repräsentiert die gesellschaftliche Klassenordnung. Frank Churchill spielt das Spiel der Spekulationen nur mit, um seine nicht standesgemäße Verbindung zu verheimlichen. Mr. Knightley verkörpert wie Emma sowohl die subjektive als auch die allgemeingültige Perspektive. Im Laufe des Films rückt auch sein persönliches Empfinden zunehmend in den Vordergrund, sodass sich auch mit der Inszenierung seiner Figur am Ende Individuum und Gemeinschaft vollends vereint finden. Dass Emma und Mr. Knightley als harmonisches Paar empfunden werden, lässt sich auch mit dem ausgleichenden Perspektivwandel der jeweiligen Figurationen begründen. Während sich mit der Inszenierung Emmas eine anfänglich eher individuelle zu einer allgemeinen Sichtweise wandelt, transformiert sich jene Mr. Knightleys von einer allgemeinen zu einer individuellen. D.h. mit der Hauptfigur Emma realisiert sich zunehmend die Erkenntnis, dass es sich grundsätzlich um eine subjektive und gleichzeitig objektive Welt handelt. Diese Transformation ist dem Wechselspiel geschuldet, das den gesamten Film strukturiert. Letztendlich geht es um das permanente Spannungsverhälnits zwischen subjektiver und objektiver Dimension der Welt.

Gossip bildet den Gegenstand des Films, strukturiert die Diegese und realisiert sich als ästhetische Ausdrucksform. Auf der Ebene der Handlung wird er als spekulativ und weiblich abgewertet, da Emma sich fortwährend in ihren Äußerungen irrt und den Blick fürs Ganze verliert. Mr. Knightley wird hingegen als maßgebliche moralische Instanz inszeniert, die Emma letztendlich von der ‚richtigen‘, allgemeingültigen Perspektive und dem ‚richtigen‘ Verhalten überzeugen kann. Am Ende des Films, wenn die beiden als Frau und Mann in der Figuration des Liebespaars vereint werden, wird Emma ganz und gar Teil der nun legitimierten Gesellschaftsordnung.

So lässt sich einerseits zwar argumentieren, dass das Individuum in der Gemeinschaft vollends aufgeht und somit die herrschende Ordnung als einzig gültiger Maßstab bestehen bleibt. Andererseits kann man die sich in der Transformation von einer distanzierten zu einer partizipierenden Zuschauerinnenposition formierenden gemeinschaftlichen Subjektivität als Reflexionsprozess verstehen, welcher die Ununterscheidbarkeit von subjektiver und objektiver Perspektive vor Augen führt und Gossip damit als genuine Weltwahrnehmung denkbar macht.

3.4. Eine Frage der Perspektive

Ebenso wie Legally Blonde, Erin Brockovich und Miss Congeniality entwerfen Easy A und Emma eine filmische Welt, die sich durch Zu- und Einordnungen konstituiert und als wahrgenommene Wahrnehmung bzw. Beurteilung von Urteilen durch die Zuschauerin erscheint. D.h. in den Filmen vollziehen sich Kategorisierungen, die wiederum Positionierungen zu diesen seitens des Publikums evozieren. Die im Film vollzogenen Spekulationen gilt es nicht nur nachzuvollziehen, sondern ebenso wiederum einzuordnen. Auch angesichts dieser Filme ist die Zuschauerin dazu aufgefordert, sich zu verhalten. Allerdings anders als zuvor in Kapitel 2 gezeigt, werden keine Positionierungen im Sinne von „das ist feministisch“, „das ist anti-feministisch“ evoziert, sondern vielmehr „das ist (doch) rein subjektiv“, „Das ist (wirklich) objektiv, d.h. allgemeingültig“ etc. So geht es zwar in allen von mir analysierten Filmen um die Auseinandersetzung mit Perspektivität, doch wird diese nicht nur je unterschiedlich gestaltet, sondern sie realisiert sich zudem unter verschiedenen Vorzeichen.

Im Unterschied zu Legally BLonde, Erin Brockovich und Miss Congeniality geht es in Easy A und Emma vor allem um die Kommunikationspraxis und um die Urteilenden und weniger um das Objekt des Urteils, auf das sich die Urteilenden beziehen. Außerdem wurden in Kapitel 2 die Kategorisierungsprozesse in ihrer konstativen Logik reflektiert, also mit Blick auf eine vorausgesetzte, orientierungsstiftende Wahrheit („So und nicht so ist es.“), wohingegen in diesem Kapitel deren Performativität im Vordergrund stand. Dabei habe ich herausgearbeitet, inwiefern der kinematographische Modus des Gossip in Easy A durch eine schöpferische Dimension geprägt ist und in Emma die spekulative Dimension dominiert.

Anhand von Easy A und Emma habe ich untersucht, inwiefern sich Gossip als kinematographischer Modus des gegenwärtigen Woman’s Film darstellt und auf welche Weise also die vornehmlich Frauen zugeschriebene Kommunikationspraxis einen produktiven Zugang darstellt, um die spezifische Erfahrungsmodalität des Genres zu erfassen. Wie auch der kinematographische Modus des „Undoing Gender“ aktualisiert sich Gossip auf je unterschiedliche Weise in den Filmen. Beide Filme inszenieren Gossip als eine Wahrnehmungsweise, um sich ins Verhältnis zur Welt und zu sich selbst zu setzen. Dabei wird Gossip in seiner affirmativen wie subversiven Funktionsweise reflektiert. Während Emma eine hermetisch geschlossene Gemeinschaft entwirft, zeichnet Easy A ein Bild variabler, allerdings nicht vollkommen flexibler gesellschaftlicher Strukturen. So zeigt Emma auf, wie durch Gossip Normen vor allem bestätigt und fortgeschrieben werden, während Easy A einer ähnlichen Logik wie Legally Blonde folgt und die Dekonstruktion von Geschlechterdifferenzen betreibt. Mittels einer durchkomponierten Affektdramaturgie, die sich entlang der heterosexuellen Matrix erstreckt, dekonstruiert dieser Film vorherrschende Vorurteile und Vorstellungen und reflektiert sie zugleich als essentielle Bezugspunkte zur Identifikation von Subjekten. Auch Easy A setzt sich mit der Zirkulation von Bildern auseinander und mit dem Topos Weiblichkeit = Bildlichkeit, wenn er aufzeigt, inwiefern die Protagonistin nur als Subjekt anerkannt wird, indem sie sich als ‚Frau‘ ‚zeigt‘, d.h. sichtbar macht. Nur innerhalb einer dichotomen Geschlechterordnung wird Olive und den übrigen Schülern ein Subjektstatus zugestanden, so lässt sich der Film interpretieren. Und hinsichtlich der Kategorie ‚Frau‘ ist damit eine Form von Sichtbarkeit, d.h. Bildlichkeit verbunden. In diesem Sinne zeigt der Film auch, dass ‚die Frau‘ immer nur als Repräsentation repräsentierbar ist (de Lauretis, 1987, 20). Insofern entfaltet sich ebenso mit Easy A ein kinematographischer Modus des „Undoing Gender“, doch dominiert der kinematographische Modus des Gossip.

Im Anschluss an die Konzeption des kinematographischen Modus des Gossip läge es nahe, sich mit gegenwärtigen Serien auseinanderzusetzen wie Gossip Girl (USA 2007–2012) und selbstverständlich mit Sex and the City (USA 1998–2004) und deren beiden Verfilmungen (USA 2008, 2010). Die beiden Verfilmungen lassen sich als feministische Manifeste beschreiben, die ein für alle Mal dem ‚männlichen Blick‘ das Aus erklären. Zudem entfaltet sich auch in diesen eine Widersprüchlichkeit und Mehrdeutigkeit, wie ich sie in Kapitel 2 herausgearbeitet habe. So wird die Ehe am Schluss des zweiten Films als romantische Zweisamkeit ebenso wie als schmerzhafte Fußfessel erfahrbar. Als Mr. Big Carrie, die vor ihm auf einem Hocker knien muss, den lang ersehnten Diamantring schenkt, stellt dieser Versprechen, Strafe und Mahnung an das Ehegelöbnis dar (2:08:22–2:11:40).

Während sich die Affektdramaturgie von Legally Blonde, Erin Brockovich und Miss Congeniality darin auszeichnet, dass sich zwar die Haltung der Zuschauerin zu den Protagonistinnen wandelt, nicht aber diese selbst, geht mit der Transformation der Zuschauerin von Emma und Easy A eine Veränderung der Hauptfiguren und der Ästhetik einher. In dem Maße wie sich die Sicht Emmas und Olives auf die Dinge wandelt, vollzieht sich ein Einstellungswechsel des Publikums gegenüber dem Film. D.h. nicht die Haltung der Zuschauerin gegenüber der Protagonistin verändert sich, wie in Kapitel 2 herausgearbeitet, sondern entsprechend der Perspektivverschiebung der Hauptfigur, die zugleich jene des gesamten Films darstellt, gestaltet sich das Zuschauerinnengefühl. So changiert auch die Zuschauerin zwischen einem Modus des Beobachtens und des Partizipierens. Was wir hören und was wir sehen, was der Film sagt und was er zeigt, synchronisiert sich, sodass wir ebenso wie das innerdiegetische Personal imaginieren und spekulieren, über die vermeintlich rein subjektive Perspektive ur-teilen und die augenscheinlich objektive Perspektive mit-teilen.

Durch die Filme erscheint Gossip als eine Weltsicht, durch die das Verhältnis zwischen einem ‚Ich‘ und einem ‚Wir‘ auf spezifische Weise geregelt wird. Die erste Person wird zur dritten Person. Subjektive Perspektiven realisieren sich im Modus des Gossip, der immer schon eine Kollektivität voraussetzt, als legitimes Weltverhältnis.Kollektivität wird als Subjektivierungsprozess erfahrbar. Während Emma dieses Verhältnis in seinem Anspruch auf Allgemeingültigkeit vor allem anhand der normierenden Auswirkungen beschreibt, zeigt Easy A dessen emanzipatorisches Potential auf, indem er die individuelle Dimension des Sprechakts hervorhebt. Aus diesem Grund, da auch Olive am Ende die Gemeinschaft (die sie – ebenso wie die anderen Protagonistinnen der analysierten Filme – zugleich mithervorgebracht hat) als individuelle Stimme per massenmedialem Sprachrohr repräsentiert und damit die Autorinnenschaft zurückgewinnt, realisiert sich das Zuschauerinnengefühl in Easy A zugleich als empowerment. In diesem Sinne ließe sich die Erfahrungsmodalität ebenfalls als emanzipatorisch definieren. Die Frau transformiert sich, wenn man so will, wie auch in Legally Blonde, Erin Brockovich und Miss Congeniality vom Objekt zum Subjekt. Sie wird sichtbar und hörbar.

Wenn man dagegen Emmas Affektdramaturgie betrachtet, wird deutlich, dass weder die Präsenz von Frauenfiguren noch weibliche Artikulationsformen per se eine feministische Erscheinung, d.h. eine Form des empowerment darstellen. Gossip stellt in Easy A ein Mittel zur agency dar, während es in Emma Machtstrukturen affimiert. Beide Filme verweisen jedoch auf ein grundsätzliches Merkmal von Gerüchten: Sie „sind überall und weichen doch vom ‚guten Ton‘ ab und sind somit marginal.“ (Fritsch 2004, 9) Dies ist meines Erachtens in Analogie zu betrachten mit der Stellung des Woman’s Film. Dieser und Gossip ordnen sich ein in jenen Diskurs um Massenkultur, der diese mit Frauenkultur gleichsetzt und in der Unterscheidung zwischen Hoch- und Unterhaltungskultur oppressive Differenzierungen als gegeben betrachtet.

Die beiden Filme arbeiten dieser Differenzierung entgegen, indem sie veranschaulichen, inwiefern sich mit der Gerüchteproduktion eine kollektive Ausdrucksform verbindet, über die sich die soziale Ordnung strukturiert. Durch die Filme wird Gossip als alltäglicher Sprechakt und genuiner Modus der Weltwahrnehmung erfahrbar. Sowohl Emma als auch Easy A stellen, wenngleich auf verschiedene Weise, Subjektivität als grundsätzliche Bedingung von Bedeutungsstiftung dar. Sie beschreiben ein imaginäres und fiktives Verhältnis zur Welt, dem nichtsdestoweniger eine nicht zu leugnende Wirkmächtigkeit innewohnt. Oder anders gesagt: Sie unterstellen dem Verhältnis zur Welt eine grundsätzliche Subjektivität, die sich als objektiv präsentiert.

Indem die durch Easy A und Emma inszenierte Subjektivität als genuine Weltwahrnehmung erfahrbar wird, zeigen die Filme auf, inwiefern Identitäten imaginär und nichtsdestoweniger real sind. Durch Gossip als kinematographischen Modus gerät die Konzeption eines selbstbewussten ‚Ich‘, welches sich über eine gegebene Sprache als Individuum auszudrücken vermag, ins Wanken. Das ‚Ich‘ stellt sich als Fiktion heraus, als Effekt einer kollektiven Kommunikationspraxis, die durch bestimmte Strukturen bedingt ist – wie emanzipatorisch oder restriktiv diese sich auch gestalten mögen. Während sich Legally Blonde, Erin Brockovich und Miss Congeniality in einem ‚Wir‘ entladen, wird dieses in Easy A und Emma von vornherein vorausgesetzt. Umgekehrt wird die Zuschauerin in diesen Filmen mit einem ‚Ich‘ konfrontiert: „And who am I?“

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44. Weitere film- bzw. medientheoretische Ansätze zu Gossip liefern Lorenz Engell (Engell 2008), Brigitte Weingart (Weingart 2006; vgl. auch Brokoff/Forhmann/Pompe/Weingart 2008) und Kay Kirchmann (Kirchmann 2004).
45. Zumindest funktioniert dies nicht im Sinne Edward Branigans, d.h. als zusammenführende Montage eines Blickobjekts, eines Blicks und einer Blickenden (vgl. Branigan 2007 [1984]).
46. Von einer freien indirekten Rede zu sprechen, wie etwa bei Emma (vgl. Kapitel 3.3.1.), bietet sich auch nicht an, implizieren die voice over und die amorphe Bewegung doch nichtsdestotrotz eindeutig ein ‚Ich‘ (und weniger die Sicht einer dritten Person).
47. Easy A thematisiert damit, dass erst ein Heraustreten aus der Masse Individualität und damit Subjektivität erlaubt und dass damit zugleich immer auch das Risiko des Niedergangs einhergeht. Allerdings bezieht sich dies in Easy A nicht auf die von Robert Warshow mit der Analyse des Gangster Films angesprochene Klassengesellschaft, sondern auf eine oppressive Geschlechterlogik.
48. Der Politikwissenschaftler Benedict Anderson definiert Nationen als „imagined communities“, imaginierte Gemeinschaften, die eine sichere geteilte Identität voraussetzen und in einem Gefühl von Zugehörigkeit zu einem bestimmten abgestecktem geo-politischen Raum gründen, in denen über Ideologiebildung und Indoktrination die tatsächlich vorhandenen sozialen Unterschiede der Individuen überspielt werden und die Nation als natürlich, als gegeben vorausgesetzt wird. Obgleich Nationen also Effekt von Macht, Institutionen und Verfahrensweisen, sind, werden sie als ursprünglich und ursächlich bezeichnet. (Vgl. Anderson 2006 [1983])
49. Die Gespräche in Sex and the City kann man auch als eine Möglichkeit für Frauen interpretieren, innerhalb einer heterosexuellen Welt weibliche Kollektivität aufzubauen. Folgt man nämlich der Argumentationslogik Monique Wittigs, lässt sich argumentieren, dass für die Konstitution einer weiblichen Identität der ‚Mann‘ als Bezugspunkt dienen muss, um sich der als ‚Frau‘ bezeichneten Gruppe zugehörig zu empfinden. Denn nach Wittig kann es theoretisch keine lesbische Identität in einer heterosexuellen Welt geben, da sich ‚die Frau‘ immer über das Begehren eines Mannes definiert und von daher das Begehren einer ‚Frau‘ durch eine ‚Frau‘ grundsätzlich ausgeschlossen ist, weil dies ein Subjekt impliziert, das nicht als ‚Frau‘ verstanden werden kann (vgl. Wittig 1992 [1976]). Im gegenwärtigen Woman’s Film findet meines Erachtens eine Verschiebung der Definition ‚Frau‘ statt. Frauen werden weniger als komplementär oder gegensätzlich, als das ‚andere Geschlecht‘ inszeniert, sondern Geschlechterdifferenzen erscheinen als zu hinterfragender Teil eines als dichotom vorausgesetzten Systems und gestalten sich multidimensional. Frauen werden in ihrer Relationalität reflektiert, als relationale Subjekte.
50. Zur Kritik von Massenmedien und Gossip s. Mellenkamp 1992, 154ff.
51. „Well done“, lobt Mr. Elton Emma. Dieses Lob kann sowohl auf die Anfertigung der Erdkugel als auch auf die erfolgreiche Verkupplung der Westons bezogen werden – obgleich es in der Schwebe bleibt, ob die Hochzeit tatsächlich Emmas Verdienst war. Gleichzeitig lässt sich diese Mehrdeutigkeit auf eben jene Logik der Weltwahrnehmung und -konstitution in Emma beziehen, nach welcher sich durch das matchmaking eine Gemeinschaft konstituiert, die die Welt (aus der Sicht von Emma) bedeutet.
52. Obgleich ich mich ausdrücklich von einer Psychologisierung der Figuren und ihrer Handlungen distanziere, um die Filme in ihrer Gesamtheit zu untersuchen, ist es doch bemerkenswert, dass die Protagonistinnen in Easy A und Emma sich im Gegensatz zu den vorher analysierten Filmen eher als Charakter beschreiben lassen. Dies liegt an der Subjektivität, die durch den kinematographischen Modus des Gossip eine dezidierte Rolle für die ästhetische Erfahrung der Zuschauerin spielt. So ließen sich sowohl Easy A als auch Emma als Coming of Age-Geschichte einer – psychologisch sich ‚stabilisierenden‘ – Teenagerin beschreiben. Dies entspräche allerdings nicht dem Fokus meiner Arbeit.
53. Dies meint nicht, dass Emma doch als psychologischer Charakter fungiert (s. auch diese Arbeit, FN 166, 197).
54. U.a kann ein verselbständigender Sprechakt ein Gerücht sein, schreibt Deleuze mit Blick auf Fritz Langs Film M, ein Sprechakt, „der sich gegenüber den betreffenden Gruppierungen verselbständigt, insofern ein vom Kommissar begonnener Satz vom Chef der Unterwelt an einem ganz anderen Ort fortgesetzt, weitergeführt oder verwandelt wird und eine problematische, ‚situativ‘ bedingte Interaktion zwischen den unabhängigen Gruppierungen sichtbar macht […].“(Deleuze 1997, 293)
55. Mit Blick auf den Roman schreiben Finch und Bowen: „To the extent that we enjoy delaying the moment when the subject and its social context – as it were, Emma and Mr. Knightley – are absolutely aligned, we enjoy, too, the tensions of the story and the illusion of the autonomous self; but to the extent that we facilitate the (inevitable) moment of alignment, we enjoy the pleasure of closure, the harmonious reconcilation of self to society.“ (Finch/Bowen 1990, 13)