Im Fahrstuhl zur Erkenntnis? Oder: Das Dilemma von Wissenschaftskommunikation

In ein paar Sätzen das postdramatische Literaturtheater eines französischen Autors vorstellen? Eben mal die Funktionsweise von Serialität und Wiederholung im Pornofilm erläutern? Den Unterschied zwischen ästhetischer und sozialer Erfahrung kurz auf den Punkt bringen?

Heute scheint es nicht mehr auszureichen, wenn Wissenschaftlerinnen lehren, forschen und publizieren. Neben Drittmittelanträgen für „Spitzenforschung“ und internationalen Kooperationen muss man zudem noch auf allen Social Media-Plattformen präsent sein und Ergebnisse öffentlichkeitswirksam vorführen. Dabei gilt hauptsächlich eines: Die Forschung muss verständlich sein. Am besten innerhalb einer Minute. Wie im sogenannten Elevator Pitch.

Der Elevator Pitch und Wissenschaftsevents
Ein Elevator Pitch dient in erster Linie der Präsentation der eigenen Person. Er soll verkaufen, dem Gegenüber den Nutzen eines Vorhabens verdeutlichen und für eine Sache interessieren. Deshalb muss der Pitch vor allem emotional ansprechen.

Zunehmend bedienen auch Wissenschaftlerinnen sich solch einer Vermittlungsform, in Science Slams, Science Notes  oder TED Talks.

Gegen unterhaltsame Präsentationen ist nichts einzuwenden. Gegen ein wachsendes Bewusstsein für den Zugang zu und die Verbreitung von Wissen erst recht nicht (Stichwort „Open Access“). Doch welchen Nutzen, welchen Sinn und Zweck haben Wissenschaftsevents und was wird eigentlich warum präsentiert? Was erfahren Menschen dort?

„What is it that the TED audience hopes to get from this?“, möchte auch der Kunst- und Philosophie-Professor Benjamin Bratton im Guardian wissen. Bratton gibt zu, dass die Talks ihn zwar amüsieren, doch dass er sofort wieder vergisst, worum es ging. Der Wissenschaftsjournalist Martin F. Robbins kritisiert im New Statesman, dass TED Talks nicht dazu dienten, Ideen vorzustellen und zu reflektieren, sondern dazu, „to make people feel good about themselves; to flatter them and make them feel clever and knowledgeable“.

Ich selbst habe mir zahlreiche TED Talks angesehen und bin von den Themen angetan und der Redekunst fasziniert. Und vor kurzem habe ich in diesem Blog auf einen großartigen Auftritt der Künstlerin Amanda Palmer verlinkt. Dennoch stellt sich auch mir die Frage, was bleibt wirklich hängen von den schillernden Präsentationen, den „ideas worth spreading“?

Wissenschaft und Gesellschaft
Laut des Wissenschaftsbarometers 2016, das im Auftrag der Organisation Wissenschaft im Dialog erstellt wurde, interessieren sich immer mehr Menschen in Deutschland für „wissenschaftliche Themen“, nämlich 41% der rund 1000 Befragten (im Unterschied zu 36% und 31% in den beiden Vorjahren). Ebenso viele finden allerdings, dass Wissenschaftler sich zu wenig darum bemühen, die Öffentlichkeit über ihre Arbeit zu informieren.

Aber was genau möchten die Befragten denn wissen? Handelt es sich bei der Forderung nach mehr Öffentlichkeit um eine allgemeine Kritik am akademischen Elfenbeinturm? Oder geht es tatsächlich um ein konkretes Interesse an Forschung?

Inwiefern Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen sich besonders schwer tun, ihre Erkenntnisse einem breiten Publikum zu vermitteln, warum sie weniger als Naturwissenschaftlerinnen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und ob sie Medien eher meiden, wurde vergangene Woche beim Berliner Stammtisch Wissenschaftskommunikation 2.0. diskutiert. Es wurde argumentiert, dass Texte sich eben schwerer als Experimente präsentieren ließen und dass Geisteswissenschaften weniger „anwendungsbezogen“ und damit weniger öffentlichkeitswirksam seien.

In der Diskussion wurde ein grundlegendes Dilemma von Wissenschaftskommunikation deutlich: dass die Komplexität von Erkenntnissen stark reduziert werden muss, um diese einem breiten Publikum verständlich zu machen. Dabei läuft man zwangsläufig Gefahr, Widersprüche und Ambiguitäten auszublenden. Begriffsgeschichten verschwinden hinter eingängigen Schlagworten.

Gleichzeitig hat der Kunstwissenschaftler Daniel Hornuff recht, wenn er in der FAZ schreibt: „Was nicht zur Aufführung gebracht wird, kann nicht verhandelt werden. Sich ungewohnten Ausdrucksformen zu verschließen, bedeutet also auch, das Streiten zu unterbinden.“ Geisteswissenschaftler sollten, so Hornuff, die Skepsis gegenüber den Medien hinter sich lassen und zu „Profis der Skepsis“ werden.

Allerdings darf man nicht übersehen, dass Wissenschaftler sich mehr und mehr darum bemühen, ihre Arbeit über Blogs, Twitter und Facebook – oder auf Wissenschaftsevents – sichtbarer und zugänglicher zu machen. Ebenso bedienen sich nun auch deutsche Universitäten zunehmend sozialer Medien, um für sich zu werben und sich nach außen hin zu öffnen, wie Anna-Lena Scholz im Tagesspiegel beschreibt.

Wissenschaftler sind keine Unternehmer
Einerseits sind die steigende Nutzung digitaler Vermittlungsmöglichkeiten und das verstärkte Interesse an Forschung erfreulich. Andererseits wächst mit der allgemeinen Forderung nach mehr Öffentlichkeit auch der ohnehin große Druck auf Wissenschaftlerinnen, ihre Tätigkeit zu legitimieren und sich inmitten all der „praktischen“ Berufe zu behaupten. Dass man sich mit einer Promotion oder gar einer Habilitation bereits als Wissenschaftlerin qualifiziert hat (und damit guten Gewissens forschen und öffentliche Gelder beziehen dürfen sollte), darf in der Diskussion um (mehr) Wissenschaftskommunikation nicht in Vergessenheit geraten.

Ob eine Forschungsfrage auf Anhieb verständlich ist und Ergebnisse sich hübsch verpacken lassen, gibt nämlich keinerlei Auskunft über die Sinnhaftigkeit eines Projekts. Und schon gar nicht über dessen Nutzen. Daher ist fraglich, ob der Elevator Pitch zur Darstellung wissenschaftlicher Arbeit taugt. In ihm zeigen sich höchstens die Präsentations- und Verkaufsqualitäten der Vortragenden. Doch Wissenschaftler sind keine Wissenschaftsjournalisten. Und erst recht keine Unternehmer.