Sarah-Mai Dang

Schlagwort: Verlage

Zenodo, SocArXiv oder GitHub? Preprints in den Geisteswissenschaften

In der Regel dauert es in der Wissenschaft Monate, wenn nicht Jahre, bis dass ein Artikel oder Bucheintrag veröffentlicht wird – selbst wenn der Text längst verfasst ist und den Herausgeber:innen vorliegt. Um eine zügige Veröffentlichung und Diskussion dennoch zu ermöglichen, gibt es Preprint-Server, über die Wissenschaftler:innen Manuskripte bereits vor der offiziellen Veröffentlichung zugänglich machen können (s. mein Post zu Peer Review).

In den Natur- und mittlerweile auch in den Sozialwissenschaften gibt es von der Community anerkannte Preprint-Server. In den Geisteswissenschaften steht immer noch keine dezidierte Möglichkeit zur ‚Vorveröffentlichung‘ zur Verfügung. So habe ich als Film- und Medienwissenschaftlerin erst einmal recherchieren müssen, welche adäquate Form es gibt, um nun selbst zum ersten Mal einen Artikel frühestmöglich zur Diskussion zu stellen.

Früher Zugang durch Preprint
Es handelt sich um einen Beitrag zu digitalen Werkzeugen und Methoden in der Filmgeschichtsschreibung, deren Potentiale und Herausforderungen für die Film- und Medienwissenschaft ich am Beispiel der feministischen Filmgeschichte erläutere. Da Projekte und Ansätze in den Digital Humanities derzeit stark diskutiert werden, ist es mir in diesem Fall ein besonders dringendes Anliegen, frühzeitiges und vielseitiges Feedback zu meinem Beitrag zu bekommen.

Der Artikel ist bereits eingereicht und soll am 1. Juni 2018, also in acht(!) Monaten bei MEDIENwissenschaft Rezensionen | Reviews  erscheinen. In Absprache mit der Redaktion (Danke!) habe ich mich entschieden, den ersten Entwurf vorab zu veröffentlichen. Was in den Naturwissenschaften gang und gäbe ist, stellt in den Geisteswissenschaften nach wie vor eine Besonderheit dar. Kommerzielle Plattformen wie ResearchGate oder Academia.edu werden zwar genutzt, doch in der Regel um im Nachhinein Artikel verfügbar zu machen. Leser:innen müssen sich registrieren, um die Texte herunterzuladen. Zudem sind die AGB undurchsichtig und die rechtliche Lage ist oftmals ungeklärt. Nicht zuletzt bleibt die Veröffentlichung an die Produktionsabläufe der Verlage gebunden. Außerdem können Dokumente oder ganze Accounts beliebig gelöscht oder erstellt werden. Eine nachhaltige Nutzung kann somit nicht gewährleistet werden. Die Prozesshaftigkeit von Wissenschaft spiegeln Preprint-Server weitaus besser wider. Gilt es, sich für eine offenere Wissenschaft einzusetzen und seine Publikationen sowohl zugänglicher als auch nachnutzbarer zu machen, ist dies meines Erachtens die bessere Wahl.

Relevante Kriterien für Preprints
Doch wo sollen Geisteswissenschaftler:innen ihre Preprints veröffentlichen? Und was sollen Preprint-Server eigentlich leisten?

Meiner Meinung nach sind folgende Kriterien relevant:
Sichtbarkeit durch Auffindbarkeit: durch passende Verschlagwortung, SEO, DOI (Digital Object Identifier), permanente URL
Zugänglichkeit: durch nutzer:innenfreundliches Interface, Download-Option ohne Registrierung
Nachnutzbarkeit: durch variable Lizenzierung und Zitiermöglichkeit (über DOI, permanente URL)
Nachhaltigkeit: durch permanente URL, standardisierte Metadaten, Langzeitarchivierung über Speicherverfahren wie LOCKSS  oder CLOCKSS sowie nicht beliebig löschbare Dokumente
Anerkennung in der Community: durch verbreitete Nutzung, transparente Verfahren, produktive Beiträge
Transparenz: durch Offenlegung des Source Codes, der AGB, der Finanzierung bzw. des Geschäftsmodells

Nach Gesprächen mit Kolleg:innen aus der Open Science-Community (Danke, Fellows und Aktivist:innen von „Freies Wissen“!) habe ich mir die Plattformen SocArXiv, Zenodo und GitHub näher angesehen. Schlussendlich habe ich mich entschieden, meinen Artikel als Preprint bei Zenodo hochzuladen („Digital Tools & Big Data: Zu gegenwärtigen Herausforderungen für die Film- und Medienwissenschaft am Beispiel der feministischen Filmgeschichtsschreibung“). Ausschlaggebend war die größere, wenn auch vergleichsweise geringe, Bekanntheit unter Wissenschaftler:innen in der Medienwissenschaft in Deutschland.

Mögliche Preprint-Server
1) Zenodo, https://zenodo.org/
Zenodo ist eine vom CERN 2013 ins Leben gerufene Plattform, die jedoch ausdrücklich sowohl Natur- als auch Humanwissenschaften willkommen heißt. Die Nutzung ist für Autor:innen sowie für Leser:innen kostenlos. Finanziert wird die Plattform u.a. durch die Initiative der europäische Kommission OpenAIRE.

Zenodo bietet
◦ Verschlagwortung
◦ automatische DOI
◦ variable Lizenzierung, auch ohne Creative Commons
◦ eine Community-Umgebung für Kollaborationen und Austausch
◦ verschiedene Dateiformate
◦ verschiedene Genres (z.B. Textpublikationen, Präsentationen, Videos, Poster, Bilder)
◦ ein eigenes Repositorium bzw. Gruppe
◦ Verknüpfung mit ORCID
◦ Verknüpfung mit GitHub
◦ schnellen Import von Artikeln in Literaturdatenbanken

Die Plattform ist open source basiert (GitHub). Die Nutzungsrechte bleiben bei den Urherber:innen. Auch deutschsprachige Artikel sind auf Zenodo zu finden. Unter „Medien“ sind 70 Einträge gelistet. „Medienwissenschaft“ bringt allerdings keine Suchergebnisse hervor. Dafür gibt es Beiträge zur Geisteswissenschaft, z.B. zur Bedeutung von Open Access, https://zenodo.org/record/50598). Zenodo ist einfach zu bedienen. Zudem sind die einmal hochgeladenen Dokumente oder Dateien nicht beliebig löschbar, sodass eine nachhaltige Archivierung und Nutzung gewährleistet wird.

2) SocArXivhttps://osf.io/preprints/socarxiv
In die engere Auswahl ist auch SocArXiv gekommen. SocArXiv ist mit dem Gründungsjahr 2011 ebenfalls ein relativ junger PrePrint-Server. Verstärkte Aufmerksamkeit hat er in der Diskussion um die Plattform SSRN (Social Science Research Network) bekomment, als diese 2016 von Elsevier (s. mein Blog-Post) aufgekauft wurde. Angesiedelt ist die Plattform an der University of Maryland (UMD).

SocArXiv bietet
◦ Suche nach Schlagworten und Disziplinen
◦ permanente URL
◦ automatische DOI (Digital Object Identifier) ist in Planung
◦ variable Lizenzierung (CC-O oder CC-BY)
◦ Indexierung über Google Scholar
◦ Teilen über Twitter, fb, LinkedIn und eMail
◦ Download-Statistiken
◦ Verknüpfung mit ORCID

Auch bei SocArXiv bleiben die Nutzungsrechte bei den Urherber:innen. Während bei Zenodo Daten über GitHub archiviert und verknüpft werden können, kooperiert SocArXiv mit OSF (Open Science Framework), über das man über Hintergrund und Kontext des Artikels mittels zusätzlichem Material und weiteren Daten informieren kann. SocArXiv verpricht, dass sie sich anders als SSRN nicht an Elsevier verkaufen würden. Reichweite und Netzwerk scheinen mir auch bei SocArXiv inzwischen recht groß, auch in den Humanwissenschaften. Doch da kaum deutsche Text auf der Plattform zu finden sind, habe ich Zenodo den Vorrang gegeben.

3) GitHub, https://github.com/
GitHub war mir bisher nur als Hosting-Plattform für Software, insbesondere im open source-Bereich, bekannt. Doch es ist ebenso möglich, Textdateien über GitHub verfügbar machen, nicht nur Codes. Dennoch scheinen mir SocArXiv und Zenodo für Preprint-Zwecke eindeutig geeigneter, zumal es über Zenodo möglich ist, seine Daten auf GitHub-Account zu verlinken.

4) eigene Website
Den Preprint-Artikel über die persönliche Website oder die Institutsseite zugänglich zu machen, erlaubt zwar eine unmittelbare Verknüpfung mit dem eigenen Profil, doch Auffindbarkeit und Nachhaltigkeit sind nicht gewährleistet.

Feedback willkommen!
Es stellt natürlich ein Risiko dar, ‚unfertige‘ Produkte für die Community oder gar die Öffentlichkeit freizugeben. Man stellt sich einer unbekannten Leser:innenschaft und macht sich leichter angreifbar. Dennoch freue ich mich auch über kritisches Feedback zum Text sowie über allgemeine Kommentare, Vorschläge oder eigene Erfahrungsberichte zu Preprint-Servern – nicht nur in der Film- und Medienwissenschaft.

 

Update (22. August 2019)
Seit diesem Jahr gibt es MediArXiv, ein offenes, internationales, mehrsprachiges, crowd-sourced Repositorium für die Medien-, Film- und Kommunikationswissenschaft (und angrenzende Disziplinen), dem ich als Mitglied des Steering Committee angehöre. MediArXiv fokussiert derzeit vor allem Publikationen, also Artikel, Buchkapitel und ganze Bücher, sowohl als Preprint als auch als Postprint.

Geht es um das Zugänglichmachen von Texten, ist MediArXiv zu empfehlen. Geht es jedoch um heterogeneres Material, z.B. um Präsentationen, oder um die Organisation einer themenspezifischen Community, ist Zenodo die geeignetere Anlaufstelle.

Des Weiteren gibt es für die deutschsprachige Medienwissenschaft das Repositorium media/rep, das in Kooperation mit Verlagen Publikationen sammelt und open access stellt.

Vom Verlegen zum Vermitteln – Die Arbeit der Musikverlage und ihre Rolle in der GEMA

Neben Komponist:innen und Textdichter:innen hat die GEMA noch eine dritte Kategorie von Mitgliedern, nämlich die Musikverlage.1 Über diese wird vergleichsweise wenig berichtet, dabei spielen sie bei der Verteilung der Einnahmen im Musikgeschäft eine wichtige Rolle.

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe zu den ökonomischen und rechtlichen Bedingungen der Musikindustrie. Während ich in Teil 1 die Aufgaben der GEMA darlege, will ich in diesem zweiten Beitrag erläutern, inwieweit sich das Tätigkeitsfeld der Musikverlage von dem der Textverlage unterscheidet. Dabei fällt vor allem auf, dass die Musikverlage gar nicht aufgrund von traditioneller Verlagsarbeit GEMA-Mitglieder sind. Herausgabe und Vertrieb gedruckter Noten macht bei vielen Musikverlagen nicht mehr den Großteil der Arbeit aus. Vielmehr vermitteln sie – wie Agenturen – Musikwerke an Verwerter, also an Labels und Bands.

Musikverlage als Herausgeber:innen von Noten
Musikverlage verlegen Musik in Form von Noten oder, wie der Gesetzgeber es nennt, „graphische Aufzeichnungen von Werken der Musik”. Auch die GEMA-Satzung spiegelt den Fokus auf die Herausgabe von Noten wieder. Als Verlagsarbeit anerkannt wird gemäß § 6 nur „die handelsübliche Herstellung und der handelsübliche Vertrieb von Noten“. Nur wer in diesem Feld tätig ist, kann als Musikverlag außerordentliches oder ordentliches Mitglied werden. Hinsichtlich dieser Tätigkeit haben sich die Verlage mit den Musikurheber:innen in der VG Musikedition zusammengeschlossen. Die GEMA ist also nicht zuständig für die Verwertung von Noten. Sie macht aber für die VG Musikedition das Inkasso.

Grundsätzlich darf man Werke in Deutschland gemäß § 53 UrhG zum privaten Gebrauch vervielfältigen. Noten sind aber von dieser Regelung zur „Privatkopie“ nahezu vollständig ausgenommen. An der Pauschalabgabe, die auf Geräte und Leermedien (z.B. CD-Rohlinge, USB-Sticks oder Kopierpapier) erhoben wird, ist die VG Musikedition daher kaum beteiligt. Sie schließt vor allem Pauschalverträge mit öffentlichen Trägern ab.2 Wer davon nicht erfasst ist, muss einen Einzelvertrag schließen.

Im Jahr 2010 beauftragte die VG Musikedition die GEMA damit, an 36.000 Kindergärten und KiTas Aufforderungen zum Abschluss eines solchen Lizenzvertrages zu verschicken, damit diese nicht länger urheberrechtswidrig Noten und Texte kopieren. In den Medien wurde dann teilweise fehlerhaft berichtet, die GEMA wollte Gebühren für das reine Singen verlangen.3 Ob man die Durchsetzung des Urheberrechts gegenüber Kindergärten und KiTas für übertrieben hält oder nicht, ist Ansichtssache. Die VG Musikedition vertritt hier jedoch nur die Interessen ihrer Mitglieder.

Musikverlage als Agenten der Urheber:innen
Des Weiteren vermitteln Verlage die Musik der bei ihnen unter Vertrag stehenden Urheber:innen an Verwerter, vor allem an Labels und Interpret:innen. Das ist für solche Komponist:innen und Texter:innen sinnvoll, die ihre Musik nicht selbst spielen. Sie sind meistens auf die Expertise eines Verlags angewiesen, da sie selbst nicht die nötigen Verbindungen haben, um Verwerter an diesen Werken zu interessieren. Die Verlage fungieren für sie als Agenten.

Bands, die eigene Songs spielen, schicken ihre Demo-Tapes üblicherweise direkt zum Label. Da an die drei Major Labels – Sony, Universal und Warner – aber auch jeweils Musikverlage angeschlossen sind – nämlich Sony/ATV, Universal Music Publishing und Warner/Chappell –, machen sie den Abschluss eines Verlagsvertrags zur Bedingung für den record deal. Wer einen Plattenvertrag für selbst komponierte Songs unterschreibt, muss dann den Verlagsvertrag gleich mitunterzeichnen. Nicht allen Bands ist dabei klar, dass sie so zwischen 30% und 40% ihrer Einnahmen (aus ihrer Musikurheberschaft, nicht aus den Aufnahmen) für Agenten-Tätigkeiten abgeben. Diese sind aufgrund des bereits geschlossenen Plattenvertrags gar nicht mehr nötig. Der Verlag muss für die frisch geschriebenen Songs weder eine Band suchen, die sie spielt, noch ein Label, das sie aufnimmt. Beides gibt es schon. Sind die Songs einmal produziert, übernimmt das Label das Marketing für die Aufnahmen.4

Da aber viele Komponist:innen und Texter:innen eben nicht auch Interpret:innen sind, stehen die meisten Musikurheber:innen bei einem Verlag unter Vertrag, der sich darum kümmert, Interpret:innen und Labels für die Stücke zu finden. Der Verlag übernimmt außerdem die Anmeldung der Werke bei der GEMA, die ziemlich kompliziert sein kann. Ist ein Werk als „verlegt“ gemeldet, schüttet die GEMA einen Teil der darauf entfallenden Einnahmen an den Verlag aus statt an die Urheber:innen. Laut Verteilungsplan erhalten Verlage 4/12 der Einnahmen aus dem Aufführungs- und Senderecht, also durch Live-Auftritte und Radio-Ausstrahlungen, und 40% der Einnahmen aus den Aufnahmen auf Tonträger und deren Vervielfältigung. Die Einnahmen aus den gesetzlichen Vergütungen bzgl. der Privatkopie und der Bibliothekstantieme werden nach verschiedenen Schlüsseln verteilt, was sich aber in demselben Rahmen bewegt.

Unterschiede in der Verwertungskette bei Schriftwerken und Musikwerken
Diese Agentur-Tätigkeiten geben Musikverlagen in der Verwertungskette eine andere Rolle als Verlage von Schriftwerken sie ausüben. Bei Schriftwerken sind die Verlage die primären Verwerter. Es müssen nicht noch weitere Stellen hinzugeschaltet werden, um eine direkte Verwertung zu ermöglichen. Nur für gesetzliche Vergütungen aus der Zweitverwertung von Texten, d.h. für die Geräte- und Leermedienabgabe und die Bibliothekstantieme, ist also überhaupt eine pauschale Abrechnung durch eine Verwertungsgesellschaft nötig, nämlich durch die VG Wort. Diese übernimmt keine vertragliche Wahrnehmung von Nutzungsrechten; das machen die Urheber:innen oder – häufiger – die Verlage selbst.

Anders sieht es bei Musikwerken aus. Das Tätigkeitsfeld der Musikverlage ist viel geringer, was auch an der GEMA liegt. Diese sorgt – wie die VG Wort – für die Geltendmachung der Ansprüche auf gesetzliche Vergütung. Wie bereits in Teil 1 dieser Reihe ausgeführt, nimmt die GEMA auch vertragliche Ansprüche wahr. Die Erstverwertung von Musikwerken ist deren Aufführung und Aufnahme auf Tonträger. Für beides braucht man keinen Verlag. Musikurheber:innen können ihre eigenen Werke auch unverlegt aufführen. Und für die Herstellung einer mechanischen Aufnahme ist ein Label nötig, aber kein Verlag. Ein wichtiger Teil der Zweitverwertung ist die anschließende Sendung der Aufnahme im Radio oder ihre Aufführung in Clubs und Kneipen. Die Verhandlungen für die Vergütung all dieser Nutzungen mit den jeweiligen Verwertern übernimmt die GEMA. Dank ihr kann also die Erst- und Zweitverwertung größtenteils ohne Verlag ablaufen.

In den USA sind die Musikverlage mächtiger. Dort übernehmen die Verwertungsgesellschaften ASCAP, BMI und SESAC nur die Wahrnehmung aus dem Aufführungs- und Senderecht.5 Die Lizenzierung der Vervielfältigungsrechte an die Labels – das Kerngeschäft – erfolgt ohne Verwertungsgesellschaft. Daher brauchen die meisten Urheber:innen in den USA die Verlage nicht nur zu Promotionszwecken, sondern auch für die Verhandlungen über das Honorar.6 Auch die Beteiligung der Verlage an den Einnahmen ist nicht fest geregelt. Traditionell zahlen sie den Urheber:innen einen Vorschuss und lassen sich dafür die Rechte an den während der Vertragslaufzeit entstehenden Musikwerken komplett abtreten. Bis der Vorschuss wieder eingenommen ist, kassieren sie 100% der Erlöse aus der Verwertung. Danach behalten sie – je nach Vertrag – zwischen 20% und 50% der Einnahmen – und 100% der Rechte!

Allein für den Verkauf von Noten sind auch in Deutschland die Musikverlage die primären Verwerter. Für die Geltendmachung der dafür anfallenden gesetzlichen Vergütungen ist aber nicht die GEMA zuständig, sondern die VG Musikedition.

Anteil der Verlage an der Solidargemeinschaft
Angesichts all dieser Umstände drängt sich eine Frage auf: Warum sind die Musikverlage überhaupt Mitglieder der GEMA? Könnten sie nicht bessere Raten für sich aushandeln, wenn sie – wie in den USA – Lizenzen für die Aufnahme auf Tonträger selbst vergeben würden? Die Antwort könnte sein, dass damals, als dieses Verwertungs- und Verteilungssystem geschaffen wurde, der Musikmarkt noch nicht so stark konsolidiert war wie heute. Mit Sicherheit gab es keine drei Major-Verlage, die mehr als die Hälfte der Musikverkäufe abdeckten. Für die Verlage war es also besser, sich mit den Urheber:innen zur heute viel beschworenen Solidargemeinschaft GEMA zusammenzutun, um gegenüber anderen Verwertern geschlossen aufzutreten – und dafür eine feste Beteiligung an den Einnahmen zu akzeptieren.

Als wegen der Verbreitung von Kopiergeräten die VG Wort gegründet wurde, war außerdem für Schriftwerke die Veröffentlichung durch einen Verlag die einzig mögliche Direktverwertung. Es gab weder selfpublishing noch Blogs; daher waren zu dieser Zeit auch nahezu alle Werke verlegt. Im Musikgeschäft war dagegen vor allem Selbstaufführer:innen die Verwertung der eigenen Musik ohne Verlag schon immer möglich. Wer Lieder für die eigene Band schreibt, kann diese ohne Verlag live aufführen. Wer zusätzlich noch Kontakt zu einem Label hat, kann auch ohne Verlag Aufnahmen herstellen. Die GEMA erlaubt daher die Meldung von Werken als unverlegt. Dann erhalten die Urheber:innen 100% der Ausschüttung.

Außerdem ist es auch bei verlegten Werken möglich, im Verlagsvertrag von den Raten des Verteilungsplans abzuweichen. Diese Abweichung müssen die Vertragsparteien, also Urheber:in und Verlag, der GEMA gegenüber jedoch anzeigen. Ohne eine solche Mitteilung geht die GEMA bei verlegten Werken immer davon aus, dass die Raten aus ihrem Verteilungsplan gelten, und schüttet entsprechend aus.

Gegen diese automatische Ausschüttung klagten[Verlinkung wurde aufgrund einer veränderten URL von der Red. entfernt] der Musiker Bruno Kramm und sein Texterkollege Stefan Ackermann. Zuvor hatte bereits der Rechtswissenschaftler Martin Vogel aus ähnlichen Gründen gegen die VG Wort geklagt.7 Wie die daraus resultierenden Verfahren und Urteile nicht nur die konkreten Verteilungspläne, sondern die gemeinsame Vertretung von Urheber:innen und Verlagen in den Verwertungsgesellschaften insgesamt in Frage stellen, erläutere ich im nächsten Beitrag.

Marion Goller ist Juristin und forscht über Urheberrecht, Patentrecht, Freie Lizenzen und die Wissensallmende. Seit September 2016 ist sie Stipendiatin im Fellow-Programm „Freies Wissen“ des Wikimedia Deutschland e.V. und des Stifterverbands. Mail: marion.goller@oabooks.de, Twitter: @MarionGoller.

 

1. Um ordentliches Mitglied zu werden, muss ein Verlag gemäß § 7 der Satzung fünf Jahre lang mindestens 75.000 EUR von der GEMA bezogen haben. Wie bei den Urheber:innen ist auch hier also das Stimmrecht den erfolgreichsten vorbehalten.

2. Hinsichtlich der Kopien von Notenblättern an allgemein bildenden Schulen ist die VG Musikedition an dem Pauschalvertrag beteiligt, den die Kultusministerkonferenz der Länder mit den Verwertungsgesellschaften und den Schulbuchverlagen geschlossen hat. Andernfalls würden wahrscheinlich nahezu alle Musiklehrer:innen der Bundesrepublik mit mindestens einem Fuß in der Strafbarkeit stehen.

3. Die Überschrift „Kitas sollen für‘s singen zahlen“ war zwar falsch, erfreute sich aber großer Beliebtheit.

4. Schon 2008 schrieb Helienne Lindvall im Guardian darüber, dass die Verlage, um ihr Risiko zu minimieren, am liebsten nur noch solche Urheber:innen zeichnen, die auch Interpret:innen sind, also genau diejenigen, die einen Verlag am wenigsten brauchen.

5. Die American Society of Composers, die Broadcast Music, Inc. und die Authors and Publishers Society of European Stage Authors and Composers, die unter diesem Namen gegründet wurde, heute aber nur noch als SESAC firmiert, machen in den USA ähnliche Arbeit wie die GEMA.

6. Älterer, aber sehr aufschlussreicher Longread unter http://www.soundonsound.com/music-business/music-publishing

7. Bei der VG Wort sind nahezu alle Schriftwerke als verlegt gemeldet; eine moderne Ausnahme sind Webseiten. Sie schüttete daher bislang stets einen festen Anteil an die Verlage aus. Die gesetzlichen Vergütungen, für welche die VG Wort zuständig ist, stehen aber nach dem Wortlaut des UrhG und der einschlägigen EU-Richtlinie allein den Urheber:innen zu. Daher klagte Martin Vogel gegen diese Verteilung.

#GEMA #Musikverlage #YouTube #Spotify #Labels — Über die Verteilung der Einnahmen und mangelnde Transparenz in der Musikindustrie

Die GEMA hatte ein turbulentes Jahr 2016. Im Oktober erfolgte die lang ersehnte Einigung mit der Video-Plattform YouTube. Im November entschied das Kammergericht Berlin, dass der Verteilungsplan der GEMA insoweit nichtig sei, als er die pauschale Ausschüttung von Einnahmen an Musikverlage vorsehe.

Beide Entwicklungen habe ich zum Anlass genommen, die Musikindustrie im Allgemeinen und die GEMA im Besonderen genauer zu betrachten und die ökonmischen und rechtlichen Bedigungen der Musikindustrie in einer Beitragsreihe zu erläutern. Meine Recherchen hierzu haben sehr viel länger gedauert als erwartet, weil die Materie sowohl komplex als auch höchst opak ist.

Dass die Musikindustrie gerne mehr Geld einnehmen würde und seit Napster auf Kriegsfuß mit dem Internet steht, ist hinlänglich bekannt. Diesen Teil der Problematik lasse ich hier beiseite. Stattdessen lege ich den Fokus auf die Verteilung des Geldes, das mit dem Verkauf bzw. der Lizenzierung von Musik eingenommen wird. Meines Erachtens ist die Berichterstattung bezogen auf diesen Aspekt häufig undifferenziert bzw. lückenhaft.

Die Beitragsreihe richtet sich an Musikurheber:innen, Musiker:innen, Jurist:innen, Netzpolitiker:innen und an alle anderen, denen das Narrativ GEMA=gut / GEMA=böse zu simpel erscheint und die es etwas genauer wissen wollen. Letztlich geht es um Fragen des Urheberrechts; es schadet also nicht, sondern erscheint mir vielmehr geboten, die urheberrechtlichen Grundlagen in meine Analyse einzubeziehen.

Ich habe mich lediglich aus frei zugänglichen Quellen informiert und kann kein Insider-Wissen der Branche vorweisen. Wer mehr weiß, ist herzlich eingeladen, in den Kommentaren weitere Aufklärung zu betreiben.

Dramatis personae
Am Musikgeschäft sind zahlreiche verschiedene Parteien beteiligt:
• Musikurheber:innen komponieren und texten Musikstücke und Lieder.
• Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) nimmt verschiedene Verwertungsrechte der Musikurheber:innen wahr.
• Musikverlage veröffentlichen Noten und vermitteln zwischen Musikurheber:innen und verwertenden Personen oder Unternehmen, vor allem Interpret:innen und Labels.
• Die Verwertungsgesellschaft Musikedition (VG Musikedition) ist das Organ zur kollektiven Wahrnehmung der Rechte an Noten.
• Musikinterpret:innen spielen die Stücke und Lieder live vor Publikum oder zur Anfertigung von Aufnahmen im Studio; sie können, müssen aber nicht, mit Musikurheber:innen identisch sein.1
• Labels finanzieren die Studioaufnahmen und sorgen für das Marketing.2
• Die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) nimmt verschiedene Verwertungsrechte der Interpret:innen und Labels wahr.
• Streamingdienste bieten Musik zum Anhören an, entweder kostenlos mit Werbeunterbrechung oder gegen Zahlung einer Abonnementgebühr.
• YouTube erlaubt allen registrierten Nutzer:innen das Hochladen und Teilen von Videos; häufig enthalten diese urheberrechtlich und leistungsschutzrechtlich geschützte Musik, was zu Konflikten mit den Rechteinhaber:innen führt.
• Andere Verwerter:innen wie Betreiber:innen von Diskotheken und Kneipen oder Produzent:innen von Filmen, Serien und anderen Programmen verwenden Musik, um ihre Lokalitäten oder Programme für Besucher:innen und Zuschauer:innen attraktiver zu machen.
• Musikfans hören gerne Musik; sie finanzieren mit ihrer Zahlung von Kauf-, Abo- oder Eintrittspreisen den Löwenanteil der Produktion.

Mit Musik wird immer noch viel Geld verdient. Im Vergleich zu den goldenen 1990ern sind die Einnahmen jedoch stark zurückgegangen.3

Die Gründe dafür sind, anders als zuweilen von der Industrie behauptet, vielfältig. Erstens gibt es heute keinen Bedarf mehr für Formatwechsel. In den 1970ern verdrängte die MC die vorher allgegenwärtige LP, um ihrerseits in den 1990ern von der CD ersetzt zu werden. So konnten Labels dasselbe Album derselben Person alle 10-20 Jahre neu verkaufen. Wer heute im Besitz einer hochwertigen oder gar verlustfreien digitalen Audiodatei ist, hat keinen Bedarf nach neuen Formaten mehr. (Ganz verloren ist sie als Kundin aber nicht, wie der aktuelle Vinyl-Boom zeigt.) Zweitens führte die Digitalisierung zu einem „unbundling“ von Musik. Wer heute nur zwei Lieder einer Band mag, kann sich genau diese zwei Lieder kaufen und muss nicht das gesamte Album bezahlen. Drittens unterliegt die Musikindustrie denselben Fluktuationen wie der Rest der Wirtschaft. In Zeiten, in denen die Reallöhne sinken und die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung steigen, kann es nicht verwundern, wenn viele Leute ihr Geld lieber für Miete, Nahrung, Kleidung, Transport ausgeben als für Musik. Viertens mag die Industrie, allen voran die Recording Industry Association of America (RIAA), das Problem der „Raubkopien“ aufgebauscht haben, erfunden hat sie es aber nicht. Gleiches gilt für das Streaming auf YouTube. Es ist unlauter, zu behaupten, jeder einzelne illegale Download oder semi-legale Stream ersetze einen Kauf. Umgekehrt ist es aber auch naiv zu denken, dass der kostenlose Zugriff auf Musik sich überhaupt nicht negativ auf das Kaufverhalten auswirkt.

Über eins können wir uns trotzdem einig sein: Niemand will, dass es irgendwann keine Musik mehr gibt, auch nicht die bösen YouTube-Betreiber:innen. Und fast niemand will, dass Urheber:innen und Künstler:innen nicht bezahlt werden, auch nicht die bösen Fans.4 Im Gegenteil ist nahezu allen diesen Akteur:innen gemein, dass sie Musik zumindest ein bisschen mögen. Allein bei den Betreiber:innen von YouTube kann man das nicht prima facie unterstellen. Alle anderen sind entweder an der Produktion von Musik beteiligt, hören gerne Musik oder verwerten sie freiwillig, gezielt und gegen Entgelt in ihren Unternehmungen.

Die Beitragsreihe besteht aus vier Teilen:

In Teil 1 erläutere ich umfassend und auch anhand der einschlägigen Gesetze, welche Aufgaben die GEMA wahrnimmt und auch, wofür sie nicht zuständig ist, um etwas mehr Klarheit in die zuweilen vereinfachende bis tendenziöse Berichterstattung zu bringen.

In Teil 2 erkläre ich die Arbeit der Musikverlage und ihre Rolle in der GEMA.

In Teil 3 lege ich den Streit über den Anteil der Musikverlage an den Ausschüttungen der GEMA dar. Ich erläutere die Unterschiede zum Fall VG Wort und skizziere das Urteil des Kammergerichts und die Folgen, die es haben wird.

In Teil 4 befasse ich mich mit dem Konflikt zwischen GEMA und YouTube, beleuchte die Verteilung bei Streaming im Allgemeinen, analysiere die Rolle der Labels und versuche vorauszusagen, wie viel sich durch Big Data ändern wird und was die Genossenschaft C3S damit zu tun hat, die der GEMA bald als Verwertungsgesellschaft Konkurrenz machen will.

Als Fazit kann ich jetzt schon verraten, dass die Musikindustrie ein großes Transparenzproblem hat, das sie schleunigst in den Griff bekommen sollte.

 

 

Teil 1: Die GEMA und ihre Aufgaben

Die GEMA nimmt in Deutschland ihr übertragene Rechte der Musikurheber:innen wahr. Musikurheber:innen sind diejenigen Personen, die das jeweilige Stück oder Lied geschrieben haben, also nicht die Herstellerunternehmen der Tonträger (die Labels) und auch nicht die Interpret:innen, die auf einer etwaigen Aufnahme zu hören sind. Das Urheberrechtsgesetz (UrhG) weist in § 15 der Schöpferin eines Werks das Recht zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Zugänglichmachung ausschließlich zu.

Vertragliche Vergütungen
Für Musikurheber:innen bedeutet das: Sie können grundsätzlich selbst darüber bestimmen, wer die von ihnen geschriebenen Lieder und Musikstücke öffentlich aufführt oder sie auf Tonträger aufnimmt und diese verkauft, öffentlich abspielt oder zum Abspielen auf Abruf vorhält. Bliebe es bei diesem Grundsatz, so müsste jeder Radiosender, jede Diskothek und jede Coverband die jeweiligen Autor:innen um Erlaubnis bitten, bevor ihre Musik gespielt werden dürfte. Über kurz oder lang wären (erfolgreiche) Musikurheber:innen mit dem Aushandeln von Lizenzen so beschäftigt, dass ihnen für das Schreiben neuer Stücke und Lieder gar keine Zeit mehr bliebe.

Um sich diese unpraktikable Vorgehensweise zu ersparen, übertragen die meisten Musikurheber:innen einige ihrer Verwertungsrechte, wie z.B. das Senderecht und das Recht zur öffentlichen Wiedergabe, aber auch das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht, auf eine Verwertungsgesellschaft, in Deutschland auf die GEMA.5 Diese lizenziert die bei ihr registrierten Werke an die Verwerter — und zwar gemäß § 34 Abs. 1 Verwertungsgesellschaftengesetz6 diskriminierungsfrei, sie unterscheidet also z.B. nicht zwischen guten und schlechten Diskotheken oder schönen und weniger schönen Coverversionen.7

Die GEMA ist als Verein organisiert und handelt gemäß § 1 des mit den Mitgliedern abgeschlossenen Berechtigungsvertrags als Treuhänderin der ihr übertragenen Rechte. Eigenen Gewinn macht sie nicht. Nach Abzug der Verwaltungskosten, die in den letzten Jahren etwa 15% betrugen8, schüttet sie ihre Einnahmen an die Berechtigten aus. Die GEMA hat außerdem Gegenseitigkeitsverträge mit zahlreichen Verwertungsgesellschaften anderer Länder. Diese nehmen in ihrem Zuständigkeitsbereich die Rechte der GEMA-Mitglieder wahr und geben die Einnahmen an die GEMA weiter, während die GEMA umgekehrt in Deutschland die Wahrnehmung der bei ausländischen Verwertungsgesellschaften gemeldeten Rechte übernimmt.

Gesetzliche Vergütungen
Neben dieser vertraglichen Lizenzierung nimmt die GEMA auch Vergütungen ein, welche direkt aus gesetzlichen Regelungen folgen.

§ 17 Abs. 2 UrhG erlaubt die Weiterverbreitung von Vervielfältigungsstücken. Das stellt sicher, dass ich mit einer einmal legal erworbenen CD so verfahren darf, wie es mir beliebt. Die Urheberin kann mir nicht verbieten, diese CD zu verschenken, zu verkaufen oder meinen Freundinnen auszuleihen.9 Leihe meint dabei die kostenlose Gebrauchsüberlassung, also nicht die Vermietung gegen Entgelt.

Nicht nur Privatpersonen dürfen verleihen, auch Archive und Bibliotheken, sofern sie nicht kommerziell betrieben werden. Da diese sog. „Gedächtnisinstitutionen“ Werkstücke aber an eine große Anzahl von Personen verleihen, können sie den Absatz schmälern und müssen gemäß § 27 Abs. 2 UrhG die Urheber:innen dafür entschädigen. Das geschieht in der sog. Bibliothekstantieme, die Sarah-Mai Dang schon in ihrem Beitrag über die VG Wort erwähnt hat und die als Pauschalsumme zwischen den Trägern der Bibliotheken und den Verwertungsgesellschaften ausgehandelt wird.

Ebenfalls per Gesetz erlaubt ist gemäß § 53 UrhG die Vervielfältigung zu privaten und teilweise zu anderen nichtgewerblichen Zwecken. Auch für diese „Privatkopie“ sind die Urheber:innen gemäß § 54 UrhG zu entschädigen. Das geschieht über eine Abgabe auf die relevanten Geräte — Kopierer, Drucker, Scanner, Faxmaschinen, Kameras, CD- und DVD-Brenner und mittlerweile auch PCs, Mobiltelefone und Tablets — und auf die entsprechenden Leermedien — Rohlinge, USB-Sticks, Speicherkarten, Festplatten. Die Geräte- und Leermedienabgabe wird direkt bei den Herstellerunternehmen erhoben. Wenn ich mir ein neues Mobiltelefon kaufe, werden mit einem Teil des Kaufpreises die Urheber:innen entschädigt, von deren Werken ich mit diesem Gerät oder zum Gebrauch auf diesem Gerät Kopien anfertige. Sind Kopiergeräte öffentlich zugänglich, so zahlen auch die jeweiligen Betreiberunternehmen.10

Beide hier genannten gesetzlichen Ansprüche (es gibt noch andere) können gemäß § 27 Abs. 3 UrhG bzw. gemäß § 54h UrhG nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden. Einerseits wäre eine gesonderte Geltendmachung einzelner Urheber:innen so aufwändig, dass sie kaum praktizierbar erscheint. Insofern erscheint die Regelung sinnvoll. Andererseits sind Urheber:innen, die etwas von diesem Kuchen abhaben wollen, zur Kooperation mit den Verwertungsgesellschaften gezwungen — und das hat nicht immer nur Vorteile, wie wir sehen werden.

Interessenvertretung durch die GEMA
Schimpfen auf die GEMA ist nicht allein wegen der YouTube-Sperren sehr en vogue. Als die Gesellschaft 2012 ihre große Tarifreform ankündigte, gingen Clubbesitzer in der gesamten Republik auf die Barrikaden. Die geplanten Erhöhungen seien völlig überzogen und unbezahlbar. Die GEMA hielt dagegen, dass die bisherigen Tarife uralt und viel zu niedrig seien, nur große Clubs mehr bezahlen würden müssen und die Tarife im Ausland noch deutlich über den geplanten lägen.11 Schließlich wurde vor der zuständigen Schiedsstelle ein Kompromiss ausgearbeitet; man traf sich irgendwo in der Mitte und das prophezeite Clubsterben ist bislang nicht eingetreten. Was blieb, war die schlechte Presse für die Verwertungsgesellschaft, die als weltfremd, aus der Zeit gefallen und habgierig bezeichnet wurde. Allein Alexander Wragge von irights.info wagte es, darauf hinzuweisen, dass die GEMA hier lediglich wie eine normale Tarifpartei handele, die das Maximum für ihre Mitglieder herausholen wolle.12

Zahlreiche Zeitungen bezeichnen die GEMA immer wieder verkürzt als „Rechteverwerter“ statt als Verwertungsgesellschaft.13 Das ist nicht direkt falsch, kann aber den Eindruck erwecken, die GEMA handele im Eigeninteresse. Rechteverwertung muss von Werkverwertung unterschieden werden. Die GEMA verwaltet die Rechte an der Musik, damit diese Musik von Dritten verwertet werden kann. Verwerter von Musikstücken sind Bands, Labels, Clubs, Radiosender. Verwertungsgesellschaften wie die GEMA vertreten die Urheber gegenüber den Musikverwertern. Sie sorgen dafür, dass Urheber an der Verwertung beteiligt werden. Ohne eine Verwertungsgesellschaft wie die GEMA wäre eine Vergütung von Musikurhebern für die verschiedenen Arten der Nachnutzung viel zu aufwändig. Musik müsste ungenutzt oder ihre Nutzung unvergütet bleiben.

Monopol und one-size-fits-all-Berechtigungsvertrag
Die GEMA agiert in Deutschland monopolistisch. Sie ist derzeit die einzige Verwertungsgesellschaft für Musikurheber:innen. Auch aus diesem Grund kann sie sich erlauben, für alle ihre Berechtigten denselben one-size-fits-all Berechtigungsvertrag zu verwenden. Das bedeutet unter Anderem: Wer an den gesetzlichen Vergütungen beteiligt werden will, muss auch die vertraglichen Ansprüche abtreten. Musikurheber:innen können also, auch wenn sie wollen, nicht die GEMA nur für bestimmte Nutzungen beauftragen und über andere selbst mit den Verwertern verhandeln.

Insbesondere Live-Aufführungen und mechanische Vervielfältigungen von Musikwerken werden über einen GEMA-Tarif abgerechnet. Labels zahlen für das Pressen von CDs; Veranstalter zahlen für Auftritte. Das gilt unabhängig davon, ob eine Band ihre eigenen oder fremde Lieder spielt. Alle Urheber:innen erhalten den ihnen nach dem geltenden Verteilungsschlüssel zustehenden Anteil aus den GEMA-Einnahmen.

Manchmal sind Label, Band und Urheber:innen identisch. Auch Veranstalter, Band und Urheber:innen können dieselben Personen sein. Dann könnte man vertreten, dass bei selbst gebrannten CDs oder bei selbst organisierten Konzerten, auf denen Menschen ihre eigene Musik spielen, von vornherein keine GEMA-Gebühren anfallen sollten. Das würde Selbstaufführer aber gegenüber reinen Musikurheber:innen, die nicht selbst musizieren, bevorzugen. Denn deren Anteil an den Ausschüttungen würde weiterhin durch den Abzug der Verwaltungskosten der GEMA geschmälert. Urheber:innen, die ihre eigenen Songs in selbst organisierten Konzerten live spielen oder auf CD vertreiben, genössen dagegen abzugsfreie Einnahmen. Das wäre ungerecht.

Aufgrund der Rechteübertragung an die GEMA können Musikurheber:innen nicht mehr frei über diejenigen Nutzungen verfügen, für welche die Verwertungsgesellschaft einen Tarif vorsieht. Lange Zeit bedeutete das auch ein Verbot des Verschenkens von Musik, selbst an wohltätige Einrichtungen oder Veranstaltungen. Erst seit Juni 2016, als die Bundesrepublik die Vorgaben aus der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten umsetzte, sieht das neue Gesetz über die Verwertungsgesellschaften (VGG) in § 11 vor, dass Urheber:innen die nicht-kommerzielle Nutzung ihrer Werke selbst gestatten dürfen. Die GEMA fügte kurz vor Erlass des Gesetzes ihrem Wahrnehmungsvertrag einen neuen § 1a hinzu. Als Voraussetzung wurde jedoch eine Meldepflicht für nicht-kommerzielle Nutzungen beschlossen, sodass gewisse Friktionen mit dem NC-Modul der Creative-Commons-Lizenzen bestehen.14

Ebenfalls aufgrund der Rechteübertragung konnten Musikurheber:innen die Nutzung ihrer Werke auf YouTube auch nicht einfach erlauben. Nicht nur Fans, auch viele Musikurheber:innen, die ihre Songs selbst performen, waren über die Sperre sehr verärgert, weil ihnen ein wichtiger PR-Kanal verloren ging. Hier wird deutlich, dass verschiedene Urheber:innen verschiedene Interessen haben können. Wenn Urheber:innen, die auch Interpret:innen sind, die etwa für ein neues Album werben möchten, stärkeren Wert auf die größtmögliche Verbreitung ihrer Musik legen als darauf, für jeden Aufruf entlohnt zu werden, steht eine Sperre dieser Absicht entgegen. Besonders für weniger bekannte Urheber:innen lohnt es sich, wenn auf Plattformen durch kostenlose Streams auf ihre Musik, ihre Konzerte und ihre Fanartikel aufmerksam gemacht wird. Das kann lukrativer sein als die Centbeträge, die für Streams anfallen.

GEMA-Vermutung
Des weiteren müssen Musikurheber:innen, die einen Wahrnehmungsvertrag abschließen, der GEMA ihr gesamtes Repertoire „melden“, also zur Wahrnehmung übertragen. Für die Geltungsdauer des Vertrags übernimmt die Gesellschaft zahlreiche Verwertungsrechte für alle Werke der Tonkunst, bei denen Einnahmen zu erwarten sind. Insgesamt waren lange Zeit nahezu alle kommerziell arbeitenden Musikurheber:innen mit all ihren Werken bei der GEMA gemeldet, welche die übertragenen Verwertungsrechte vollständig verwaltete. Aus diesem Grund erlaubten die Gerichte der GEMA, bei Veranstaltungen davon auszugehen, dass die gespielte Musik ihrem Katalog entstammte, und die entsprechenden Tarife zu erheben.

Mit dem Aufkommen kommerziell genutzter, aber nicht gemeldeter Werke, geriet diese „GEMA-Vermutung“ in die Kritik. Einige Veranstalter empfinden es als unbillig, nach wie vor hinsichtlich der Verwendung solcher „GEMA-freier“ Musik darlegungs- und beweisbelastet zu sein. Die GEMA vertritt die Ansicht, es sei für sie viel zu aufwändig, die Musiknutzung in Clubs und auf Festen vollständig zu überwachen. Dagegen bedeute es für die Veranstalter nur einen geringen Mehraufwand, die Nutzung GEMA-freier Musik darzulegen, denn sie wüssten ja am besten, was auf ihren Parties gespielt werde. Demgegenüber stehen die Veranstalter:innen auf dem Standpunkt, die GEMA kassiere mehr und mehr Geld, das ihr nicht zustehe, weil es viel zu kompliziert sei, die GEMA-Freiheit gespielter Musik zu beweisen.15

Beide Parteien behaupten folglich, ihnen selbst sei die genaue Erfassung gespielter Titel nicht zuzumuten, das solle die andere Seite übernehmen. Genau mit diesem Problem sieht sich derzeit auch die VG Wort wegen des Hochschulrahmenvertrages konfrontiert. Die Urheber:innen und ihre Verwertungsgesellschaften wollen eine präzisere Abrechnung. Mit der Forderung nach einer genauen Erfassung der Nutzungen macht man sich aber weder bei Universitätsangehörigen noch bei Clubbesitzer:innen sonderlich beliebt.

Noch profitiert die GEMA von der zu ihren Gunsten gerichtlich etablierten Beweislastumkehr. Je mehr sich jedoch die Berichte über die Nutzung GEMA-freier Musik häufen, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die GEMA-Vermutung eines Tages doch abgeschafft werden wird. Dann müsste die GEMA ein System einführen, welches sämtliche gespielten Titel erfassen kann. Derzeit befinden sich lediglich in 120 Großraumdiskotheken der Republik sog. „Black Boxen“, die pro Woche eine Stunde lang die Musik mitschneiden. In einigen Städten werden nun erste Gehversuche mit einem neuen Gerät unternommen, welches sämtliche Musik erkennen und dabei nicht viel kosten soll.16

Mitsprache und Verteilung
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Art und Weise, wie die Mitspracherechte innerhalb der GEMA organisiert sind und nach welchen Kriterien sie ihre Einnahmen an die Mitglieder ausschüttet. Die Beteiligung in der GEMA ist unterteilt in ordentliche, außerordentliche und angeschlossene Mitgliedschaft. Wer gerade frisch einen Berechtigungsvertrag unterschrieben hat, ist zunächst angeschlossenes Mitglied. Auf Antrag gewährt der Vorstand gemäß § 6 Abs. 2 der Satzung die außerordentliche Mitgliedschaft. Wer seit mindestens fünf Jahren außerordentliches Mitglied ist und in fünf aufeinanderfolgenden Jahren mindestens 30.000 EUR von der GEMA bezogen hat, kann gemäß § 7 ordentliches Mitglied werden.17

Ende 2015 waren von über 70.000 Mitgliedern 60.000 angeschlossene, etwa 6.400 außerordentliche und etwa 3.800 ordentliche Mitglieder. Nur ordentliche Mitglieder haben ein Mitsprache-, Stimm- und Wahlrecht in der Mitgliederversammlung.18 Sie wählen aus ihrer Mitte den Aufsichtsrat und treffen die Entscheidungen, die über bloße Verwaltungstätigkeit hinausgehen. Gemäß § 11 der Satzung erfolgen sowohl Wahlen als auch Abstimmungen getrennt nach den Berufsgruppen „Komponisten, Textdichter und Verleger“ (generisches Maskulinum im Original). Bei Änderungen an Satzung, Berechtigungsvertrag oder Verteilungsplan hat jede Berufsgruppe eine Stimme und es muss Einstimmigkeit zwischen den Gruppen herrschen. Jede Berufsgruppe ist also hinsichtlich solcher Änderungen eine Sperrminorität.

Besonders bezüglich der Verteilung gibt es immer wieder Reibereien, die auch an die Öffentlichkeit dringen. Die Überwachung durch die bereits erwähnten Black Boxen verzerrt nach Ansicht der Kritiker:innen die Verteilung zugunsten ohnehin erfolgreicher Urheber:innen, weil sie sich in großen Diskotheken befinden, in denen vor allem Hits aus den Charts gespielt werden. Weniger bekannte Musik werde in kleineren Clubs mindestens genauso häufig gespielt, bleibe aber bei der Verteilung unterrepräsentiert.19

Extrem unbeliebt war das sog. PRO-Verfahren zur Abrechnung von Live-Auftritten, welches der Vorstand 1998 mit Billigung des Aufsichtsrates, aber ohne Zustimmung der Mitglieder, einführte. Dieses komplexe System sollte dafür sorgen, dass auch solche Musik vergütet würde, die häufig auf Veranstaltungen gespielt wird, deren Besucher:innen kein Eintrittsgeld zahlen, z.B. Volksfeste. Nach Ansicht vieler Kritiker bevorzugte das PRO-Verfahren die Urheber:innen beliebter „Gassenhauer“ zu Lasten der weniger bekannten Autor:innen und sei obendrein leicht zu manipulieren.20 Besonders Urheber:innen, die eigene Songs spielen, fühlten sich geprellt, weil sie von den Gebühren, die sie für die Aufführung ihrer eigenen Musik zahlen mussten, nur einen Bruchteil zurück erhielten. Insgesamt verteilte die GEMA in dieser Zeit nahezu 65% ihrer Ausschüttungen an nur 5% ihrer Mitglieder.21

Nach beinahe 14 Jahren hat die GEMA nun im Sommer 2012 das Verfahren geändert, diesmal durch Beschluss der Mitgliederversammlung. Das neue INKA-Verfahren (von Inkasso) soll sich mehr an den tatsächlichen Einnahmen orientieren.22 Es wurde im Jahr 2014 erstmals eingesetzt. Ob es die Urheber:innen zufriedener macht, kann man noch nicht sagen.

Die GEMA als Solidargemeinschaft
Die GEMA handelt mit den verwertenden Personen und Unternehmen Manteltarife für bestimmte Nutzungsarten aus, die für das gesamte von ihr verwaltete Repertoire gelten. Das macht sie zu einer stärkeren Verhandlungspartnerin, als die meisten der von ihr vertretenen 70.000 Urheber:innen allein jemals sein könnten. Wer die zahlreichen Hits von Max Martin nutzen will, zahlt für die weniger bekannten Songs der Monsters of Liedermaching mit. Wäre das anders, so könnten berühmte Urheber:innen für ihre Musik höhere Preise verlangen, während Newcomer und Urheber:innen abseits des Mainstream es schwerer haben dürften, überhaupt entlohnt zu werden.

Bei den Verhandlungen mit den Verwertern muss die GEMA versuchen, die richtige Balance zwischen größtmöglicher Verbreitung der Musik und bester Bezahlung der Urheber:innen zu finden. Daher hält sie für die verschiedensten Nutzungen vom Live-Konzert über den Klingelton bis zum Leierkasten jeweils eigene Tarife Tarife bereit.

Die GEMA sieht sich nicht als bloßes Inkassounternehmen, sondern als Solidargemeinschaft. Während sie in einigen Bereichen, etwa bei der mechanischen Vervielfältigung von Musikstücken auf CD oder Vinyl, die Einnahmen direkt abrechnet, also nach Abzug der Verwaltungskosten ohne Umwege an die Urheber:innen ausschüttet, erfolgt in anderen Bereichen, vor allem beim Aufführungs- und Senderecht, eine sog. „kollektive Abrechnung“. Dort weiß die GEMA nur ungenau, durch Stichproben und nur selten eingereichte Folgenlisten, welche Lieder und Stücke gespielt wurden. Sie kann die Einnahmen also nicht direkt ausschütten, sondern muss sie nach einem bestimmten Plan verteilen. In diesem Bereich kommt es denn auch zu einer gezielten Umverteilung.

Gemäß § 32 Abs. 1 VGG sollen Verwertungsgesellschaften „kulturell bedeutende Werke und Leistungen fördern“. So unterscheidet die GEMA ausdrücklich zwischen ernster Musik und Unterhaltungsmusik [Verlinkung wurde aufgrund einer veränderten URL von der Red. entfernt] und rechnet diese Segmente unterschiedlich ab, was vielen Urheber:innen von U-Musik schon lange missfällt.23

Das PRO-Verfahren war ebenfalls ein Versuch, die Einnahmen auf eine Art und Weise zu verteilen, die nach Ansicht des damaligen Vorstands gerechter war. Die Urheber:innen besonders beliebter Musik sollten nicht dafür bestraft werden, dass ihre Songs vor allem auf eintrittsfreien Veranstaltungen gespielt werden. Dabei ließ der Vorstand außer Acht, dass solche Lieder ihren Urheber:innen ohnehin schon viel Geld eingebracht haben, wenn sie so beliebt sind, dass sie im Repertoire keiner Coverband fehlen dürfen. Das stieß vielen Mitgliedern sauer auf, zumal sie an der Entscheidung nicht beteiligt worden waren.

Wie alle Tarifparteien hat die GEMA den Anspruch, als starke Solidargemeinschaft ihre einzelnen Mitglieder zu schützen, von denen nur die wenigsten für sich allein eine nennenswerte Bezahlung erstreiten könnten. Nach Ansicht ihrer Entscheidungsträger hätte die GEMA ihrem Auftrag zuwider gehandelt, wenn sie YouTube als Musikplattform ignoriert hätte. Sie gab sich daher nicht mit der von Google vorgeschlagenen Vergütung zufrieden, obwohl einige Urheber:innen die Präsenz ihrer Musik auf der Plattform auch ohne direkte Gegenleistung willkommen geheißen hätten.

Eine Kritik, die behauptet, die GEMA habe im Streit mit YouTube durch ihre „Sturheit“ zum Nachteil ihrer Mitglieder gehandelt, greift daher zu kurz. Wie bereits angemerkt, haben nicht alle Mitglieder dieselben Interessen. Ähnliches gilt für die Verteilung. Solange für Sendungen und Live-Auftritte kein genaues Erfassungssystem existiert, ist eine kollektive Abrechnung vonnöten. Diese muss zu Ungenauigkeiten führen, über deren Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit man lange streiten kann. Wer die GEMA als gesichtsloses Bürokratiemonster betrachtet, das allen nur den Spaß verderben will, macht es sich daher zu einfach. Die GEMA leistet diesem Narrativ jedoch Vorschub, wenn sie sich wie ein gesichtsloses Bürokratiemonster verhält.

Muss der GEMA-Vorstand an der Mitgliederversammlung vorbei ein neues Abrechnungssystem durchsetzen und dann 12 Jahre lang Proteste ignorieren, bis er es endlich wieder ändert?
Muss der Vorstandsvorsitzende eine halbe Million Euro im Jahr verdienen?
Und am aktuellsten: Müssen die Verlage per Verteilungsplan an Ausschüttungen beteiligt werden, die laut Gesetz den Urheber:innen zustehen?

Dazu im nächsten Beitrag mehr.

Marion Goller ist Juristin und forscht über Urheberrecht, Patentrecht, Freie Lizenzen und die Wissensallmende. Seit September 2016 ist sie Stipendiatin im Fellow-Programm „Freies Wissen“ des Wikimedia Deutschland e.V. und des Stifterverbands. Mail: marion.goller@oabooks.de, Twitter: @MarionGoller.

 

1. Um Monotonie beim Lesen zu vermeiden, spreche ich in diesem Text auch von „Bands“ oder „Künstler:innen“. Gemeint sind damit immer Interpret:innen.

2. Labels sind „Tonträgerhersteller“ gemäß § 85 UrhG (generisches Maskulinum im Gesetz), aber nicht alle „Tonträgerhersteller“ sind auch Labels, daher verwende ich hier lieber diesen Begriff.

3. Siehe etwa The Music Industry: 1973-2013… Diese Statistik ist mit Vorsicht zu genießen, da sie von der RIAA stammt.

4. Zuweilen liest man in online-Kommentaren, das Schaffen von Kunst solle Hobby sein, nicht Beruf. Wer diese Ansicht vertritt, hat für die hier erläuterte Problematik eine sehr einfache Lösung, ist aber eher nicht Zielgruppe dieses Beitrags.

5. In den USA sind die Verwertungsgesellschaften ASCAP und BMI nur für das Aufführungs- und Senderecht zuständig. Über die mechanische Vervielfältigung dagegen wird frei verhandelt. Daher beauftragen die meisten Urheber:innen einen Verlag, der diese Lizenzierung übernimmt.
Die deutsche VG Wort ist nur für gesetzliche Vergütungen zuständig. Mehr zu Verlagen und Musikverlagen in Teil 2.

6. bis zum 31.5.2016 gemäß § 11 Abs. 1 Urheberrechtswahrnehmungsgesetz

7. Wir erinnern uns: Coverversionen sind Vervielfältigungen. Nicht an die GEMA abgetreten wird das Bearbeitungsrecht; wer also das eigene Lieblingslied übersetzen oder sonst verändern und dann diese veränderte Version veröffentlichen möchte, muss die Urheber:innen selbst fragen; siehe mein Beitrag über Sampling und andere kreative Nachnutzungen.

8. Siehe das GEMA-Jahrbuch 2015, Seite 42.

9. Dieser sog. Erschöpfungsgrundsatz gilt für körperliche Werkstücke wie CDs oder Schallplatten. Ob er auch auf rein digitale Vervielfältigungen, also Dateien, anwendbar ist, wurde noch nicht abschließend geklärt.

10. Unter https://de.wikipedia.org/wiki/Pauschalabgabe findet sich eine gute Übersicht, auch über die Höhe der jeweiligen Abgaben.
Da insbesondere mit PCs verschiedenste Werkarten vervielfältigt werden können, haben sich einige Verwertungsgesellschaften, darunter auch die GEMA, zur Zentralstelle für private Überspielungsrechte zusammengeschlossen. Diese macht die Vergütung für die Privatkopie gegenüber den Herstellern und Betreibern geltend und schüttet sie an ihre Mitglieder aus.

11. Bericht von Juni 2012 auf ZEIT Online: Gema wehrt sich gegen Klubkiller-Vorwürfe

12. Alexander Wragge auf irights.info: GEMA nach Hause: Verloren zwischen Club und Youtube

15. Auf Legal Tribune Online sind gute Argumente Pro und Contra GEMA-Vermutung.

17. Für Verlage gelten andere Zahlen; dazu mehr in Teil 2.

18. Für andere als ordentliche Mitglieder sieht die Satzung in § 12 eine minimale Repräsentation vor.

21. Die Frankfurter Rundschau titelte: Gema, der Club der oberen 3400

22. Informationen unter Infoblatt_INKA.pdf und INKA_FAQs.pdf

23. Schon älterer, aber schön nuancierter Kommentar von ZEIT online: Nur der Markt macht die Musik

 

Dieser Beitrag wurde am 02.03.2017 korrigiert, um zum Ausdruck zu bringen, dass nicht Bands für Live-Auftritte zahlen, sondern Veranstalter.

 

Verwandte Schutzrechte — ein Anachronismus? Ein Gastbeitrag von Marion Goller

Dass Sarah-Mai Dang in ihrem letzten Beitrag angesichts der Debatten um das BGH-Urteil zur Verteilungspraxis der VG Wort das Leistungsschutzrecht für Presseverlage erwähnt hat, nehme ich zum Anlass, an dieser Stelle einmal zu erläutern, was Leistungsschutzrechte, auch genannt „Nachbarrechte“ oder „verwandte Schutzrechte“, eigentlich sind und was sie vom Urheberrecht unterscheidet. Da es sich bei diesen Rechten um reinen Investitionsschutz handelt, halte ich die Einführung neuer Leistungsschutzrechte angesichts der heute verfügbaren Technologien nicht mehr für zeitgemäß.

Immaterialgüterrechte
Beide Instrumente, Urheberrecht und Leistungsschutzrechte, sind sogenannte Immaterialgüterrechte, dienen also der Herstellung eines rechtlichen Monopols über ein Wissensgut. Wissen ist seiner Natur nach frei kopierbar und „nicht rival“ — wer mir ein Lied beibringt, verliert dadurch selbst nicht die Möglichkeit, es zu singen.1 Um aus Information eine handelbare Ware zu machen, muss sie an körperliche Träger gebunden und besser noch durch Schutzrechte künstlich verknappt werden. Grundlage ist das „Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte“ (UrhG). Das Wort „und“ weist darauf hin, dass es sich bei den verwandten Schutzrechten um vom Urheberrecht zu unterscheidende Instrumente handelt, die anderen Zielen dienen. Die öffentliche Berichterstattung lässt diese Differenzierung zuweilen vermissen. Das hat einerseits gute Gründe, denn die Sache ist kompliziert. Andererseits wären insbesondere Zeitungen in der Pflicht gewesen, in ihrer Berichterstattung über das Leistungsschutzrecht für Presseverlage außerordentliche Sorgfalt walten zu lassen, da es sie selbst betraf, was sie nicht immer transparent machten.

Vor allem sollte man sich in der Debatte um die Produktion und Nutzung von Wissensgütern immer wieder in Erinnerung rufen: Urheberrecht und Leistungsschutzrechte sind Verbotsrechte. Die Nutzung geschützter Immaterialgüter bedarf der Erlaubnis durch die Inhaber_innen der Rechte. Diese können bestimmte Nutzungsarten kostenlos oder gegen Entgelt erlauben. Immaterialgüterrechte geben ihnen aber nicht das Recht, andere zu bestimmten Nutzungen zu verpflichten und dafür eine Vergütung zu verlangen. (Lookin‘ at you, VG Media!)

Das Urheberrecht setzt eine persönliche geistige Schöpfung voraus. Es schützt also nicht Mühe, sondern Kreativität. Fehlt diese, so erreicht eine Arbeit nicht die notwendige „Schöpfungshöhe“, um als Werk urheberrechtlich geschützt zu sein. Zu den schützbaren Werkarten gehören § 2 Abs.1 UrhG Schriftwerke, Reden und Computerprogramme, Musik, Tanz, bildende Kunst, Fotografie, Film oder auch wissenschaftliche Zeichnungen und Pläne. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Andere Werkarten sind denkbar.

Immer gilt dabei, dass die Arbeit eine gewisse Schöpfungshöhe aufweisen muss, um ein urheberrechtlich geschütztes Werk zu sein. Die Grenzen sind fließend. Ob eine Arbeit kreativ genug ist, um ein Werk zu sein und Urheberrechtsschutz zu genießen, ist von Fall zu Fall zu beurteilen. Die Anforderungen sind jedoch nicht allzu hoch; es genügt ein gewisses Maß an Individualität. Auch solche Arbeiten, die keine Werke sind, können außerdem einem Leistungsschutzrecht unterfallen, dazu sogleich.

Schutzberechtigt sind allein der oder die Urheber2 des Werks, also die Person oder Personen, die es selbst geschaffen haben. Das Urheberrecht gibt ihnen exklusive Verwertungsrechte. Wenn sie ihre Manuskripte, Notenblätter und Demo-Tapes an Verlage und Labels senden, ist so sichergestellt, dass diese ohne vertragliche Genehmigung die Werke nicht vervielfältigen und vertreiben dürfen.

Das Urheberrecht schützt aber nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern auch die persönliche Bindung zwischen Schöpfer_in und Werk. Dieser Teil des Urheberrechts, das sog. Urheberpersönlichkeitsrechts ist unverzichtbar. Ein Urheber kann beispielsweise nicht dazu gezwungen werden, auf sein Recht auf Namensnennung zu verzichten.

Das Urheberpersönlichkeitsrecht ist außerdem nicht auf Andere übertragbar. Es entsteht und verbleibt bei der oder den Urheber_innen. Nur die Verwertungsrechte können abgetreten werden. Das betrifft in erster Linie das Recht zur Vervielfältigung, aber auch, wie Sarah schon hinsichtlich des ihr vorgelegten Verlagsvertrags beschrieben hat, das Bearbeitungsrecht, welches etwa Übersetzungen oder szenische Darstellungen einschließt.

Verwandte Schutzrechte
Die verwandten Schutzrechte (=Leistungsschutzrechte) dagegen schützen allein Investitionen. Anders als Urheberrechte können sie auch von Unternehmen gehalten werden und sind vollständig übertragbar.3

Schutzrechte gibt es außerdem für Tonträgerhersteller, Filmhersteller, Hersteller von Laufbildern, die mangels Schöpfungshöhe keine Filmwerke sind, Hersteller von Lichtbildern (=Fotografien), die mangels Schöpfungshöhe keine Lichtbildwerke sind, und für Sendeanstalten, also Radio- und Fernsehstationen.

Diese Schutzrechte gelten neben dem Urheberrecht. An einer einzigen Arbeit können also sehr viele Leute Rechte haben. Wer aus dem Radio eine Sendung aufnimmt, in der Musik gespielt wird, der berührt

• das Urheberrecht der Personen, die Text und Melodie des Musikstücks geschrieben haben
• das Schutzrecht der ausübenden Künstler, die die Aufnahme eingespielt habe
• evtl. das Urheberrecht der/des Produzenten/in, die/der die Aufnahme gemacht hat, wenn ihr/sein Beitrag die Schöpfungshöhe erreicht (anzunehmen bei Leuten wie dem DJ und Musikproduzenten David Guetta)
• das Recht des Tonträgerherstellers, der die Aufnahme gemacht hat
• das Recht der Sendeanstalt an „ihren“ Sendeinhalten.

Ohne das Recht auf Privatkopie müsste man alle diese Leute/Unternehmen um Erlaubnis fragen, bevor man „record“ drückt. So kann es zu einer Rechtehäufung kommen, welche die Verwertung erschwert, weil jede_r Rechteinhaber_in befugt ist, die Vervielfältigung oder andere Verwertung zu verbieten.4

Begründung für die Schutzrechte
Grund für die Einführung von Leistungsschutzrechten waren die früher exorbitanten Herstellungskosten für Tonträger, Lichtbilder und Filmaufnahmen. Die benötigte Ausrüstung war in der Anschaffung so teuer, dass man den sie zur Verfügung stellenden Unternehmen — und es waren meistens Unternehmen — ein eigenes Schutzrecht einräumte, welches ihr Investitionsrisiko ausgleichen sollte. Auch die Grenzkosten, also die Mehrkosten für jede weitere Kopie einer Aufnahme, waren ursprünglich sehr hoch. Neue Technologien und die Produktion in großen Stückzahlen, die Musiklabels und Filmvertrieben möglich waren, haben diese über die Jahre sinken lassen.

Diese hohen Kosten bestanden unabhängig davon, ob es sich bei der jeweiligen Arbeit um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelte oder nicht. Auch Ton-, Laufbild- und Lichtbildaufnahmen, die nicht die dafür nötige Schöpfungshöhe aufwiesen, waren teuer herzustellen. Die Leistungsschutzrechte wurden daher als vom Urheberrecht unabhängiger Investitionsschutz gestaltet. Ziel war dabei nicht die Belohnung der Investoren. Vielmehr sollte der Schutz diesen erst die Anreize geben, überhaupt das Risiko der Produktion auf sich zu nehmen. Damit sollen die Schutzrechte letztlich der Allgemeinheit zugute kommen.

Verhindern sollten sie – auch das vergisst man heute leicht — die Konkurrenz durch andere Verwertungsunternehmen. Nur andere Produktionsfirmen hatten damals überhaupt Zugang zu den Technologien, die nötig waren, um Leistungsschutzrechte zu verletzen. Erst kostengünstige Fotokopierer, Kassettenrekorder und Videorekorder machten den Verwertern Angst vor der eigenen Kundschaft…die Napster später zur nackten Panik steigern sollte.

Heute sieht die Sache anders aus. Aufnahmegeräte für Ton, Film und Lichtbild sind erschwinglich und ubiquitär geworden. Digitalisierung und Internet haben zudem die Vervielfältigung und Verbreitung nahezu kostenlos gemacht. Ich kann heute mit einem Telefon Filme in Ultra-HD drehen und auf YouTube mit der gesamten online-Menschheit teilen.

Anders als bei Schaffung des UrhG können nun Privatpersonen Leistungsschutzrechte verletzen und sogar selbst innehaben. Die Senkung der Herstellungs- und  Grenzkosten auf ein für Laien erschwingliches Niveau reduziert den Bedarf an Monopolen als Investitionsanreize. Daher wäre es an der Zeit, die Notwendigkeit von Leistungsschutzrechten grundsätzlich neu zu überdenken.

Datenbankhersteller und Presseverleger
Die Tendenz geht leider in die umgekehrte Richtung. Seit einigen Jahren verlangen die Produzenten anderer Wissensgüter als Bild, Ton und Film eigene Leistungsschutzrechte für sich. Und das teilweise mit Erfolg. Den Anfang machte die Richtlinie zum Schutz von Datenbanken.5

Bloße Datensammlungen sind nicht urheberrechtlich schützbar. Erst wenn Gestaltung und Auswahl so kreativ sind, dass sie eine ausreichende Schöpfungshöhe erreichen, handelt es sich um ein Datenbankwerk. Nicht schöpferische Datensammlungen sind also der Grenzkostensenkung durch Digitalisierung und Internet besonders schutzlos ausgeliefert. Daher versah die (damals noch) EG sie mit einem eigenen Schutzrecht, weil sie befürchtete, ohne ein solches würden in der Gemeinschaft „Investitionen in moderne Datenspeicher- und Datenverarbeitungs-Systeme“ nicht „in dem gebotenen Umfang stattfinden“. Zehn Jahre später ergab eine Evaluation, dass die Richtlinie große Rechtsunsicherheit erzeugt habe, mehr Anreize zu Investitionen in Datenbanken jedoch nicht nachweisbar seien. Der EuGH musste den Schutzumfang außerdem stark beschränken, damit die Richtlinie nicht zu einem Monopol auf Fakten mutiert.

Legislativen Erfolg hatten im Jahr 2013 auch die Presseverlage, als ihr lang herbeigesehntes und -lobbyiertes Leistungsschutzrecht ins UrhG geschrieben wurde.

Den Ausführungen Stefan Niggemeiers und Till Kreutzers, auf die Sarah bereits verlinkt hat, ist wenig hinzuzufügen.6 Die VG Media, welche einige große Presseverlage vertritt, will Suchmaschinen dazu zwingen, ihre Angebote zu listen und dafür zu bezahlen, auf Grundlage ihres Leistungsschutzrechts. Dieses ist aber, wie oben bereits ausgeführt, ein Verbotsrecht. Niemand sollte dazu gezwungen werden können, gebührenpflichtig Verbote zu brechen, nicht einmal evil evil Google.

Monopol auf Sprache
Nach dem BGH-Urteil zur Verteilungspraxis der VG Wort wollen jetzt auch andere Verlage ein eigenes Leistungsschutzrecht. Diese Idee ist ja keineswegs neu. Die Forderung gibt es schon seit mit dem Erlass des UrhG die ersten Leistungsschutzrechte eingeführt wurden. Der Gesetzgeber hat sie nur aus gutem Grund immer abgelehnt. Denn zwischen Lichtbild-, Ton- und Laufbildaufnahmen einerseits und Schriftwerken andererseits bestehen zwei große Unterschiede:

Erstens sind die Grenz- und vor allem die Herstellungskosten für Schriftwerke schon lange sehr niedrig. Zur Herstellung benötigt werden Papier und Stift. Mehr nicht. Wie komplex und teuer Vervielfältigung und Vertrieb sind, hängt von Art und Umfang des Werks ab.

Zweitens — und das ist noch wichtiger — gibt es bei Schriftwerken, anders als bei Lichtbild, Ton und Laufbild, keine Aufnahme, die das Werk in klar abgrenzbarer Weise fixiert. Jedem leuchtet der Unterschied zwischen einem Musikstück selbst, also Text und Melodie, und der Aufnahme desselben ein. Dasselbe gilt für Drehbuch und Filmwerk. Eine vergleichbare Abgrenzung zwischen einem Text und einem Verlagsprodukt ist nicht möglich. Werk und Verlagsprodukt sind identisch.

Genau aus diesem Grund geht das Leistungsschutzrecht fehl. Niemand weiß, welche Länge ein „Snippet“ haben darf, um noch als erlaubnisfrei durchzugehen. Sind es zu viele Wörter, so ist es für Suchmaschinen und Aggregatoren leicht zu umgehen. Sind es zu wenige, so könnte es zu einer kolossalen Blockadewirkung kommen. Man stelle sich vor, Axel Springer habe künftig das ausschließliche Nutzungsrecht an den Worten „Ein Dorf hat Angst“ oder einer ähnlichen Schlagzeile. Das Leistungsschutzrecht bleibt also im besten Fall wirkungslos, im schlimmsten Fall wird es zu einem Monopol auf Sprache.

Das Recht des Presseverlegers gilt nur gegenüber Suchmaschinen und News-Aggregatoren und ist auf ein Jahr beschränkt, insofern hält sich der Schaden für Journalisten, Blogger und Privatpersonen in Grenzen.7 Sollte es tatsächlich zu einem allgemeinen Verleger-Leistungsschutzrecht kommen, ist von einer Geltung gegenüber jedermann und von einer sehr viel längeren Schutzdauer auszugehen. Die Folgen für das Recht auf freie Meinungsäußerung hingen dann wieder davon ab, welchen Umfang verwendete Ausschnitte haben dürften. In jedem Fall würde große Rechtsunsicherheit drohen.

Fazit
Die starke Senkung von Herstellungs- und vor allem Grenzkosten ist eine wunderbare Entwicklung mit großem Potential für die allgemeine Wohlfahrt der gesamten Menschheit.8 Leider wird sie kaum als solche gefeiert. Die Verwerter reagieren mit Angst, weil sie ihr Geschäftsmodell bedroht sehen. Die Politik macht mit, weil sie weiterhin daran glaubt, ohne Schutzrechte würde niemand Kunst oder Wissen schaffen. Wer auch nur ein einziges Mal die Wikipedia genutzt hat, kann erkennen, auf welch tönernen Füßen diese Einstellung steht.

Die Verlage behaupten, ohne ihre verlegerische Arbeit werde es keinen Qualitätsjournalismus, keine anspruchsvolle Literatur, keine wertvollen wissenschaftlichen Beiträge mehr geben. Wenn sie aber, wie es in der Wissenschaftspublikation nur allzu häufig geschieht, diese verlegerische Arbeit nahezu vollständig auf die Autor_innen abwälzen, erscheint diese Behauptung wenig glaubhaft.

Verlage müssen gegenüber der heute möglichen Selbstveröffentlichung im Internet einen Mehrwert bieten, der die Urheber dazu bringt, mit ihnen zusammenarbeiten zu wollen. Sie sollten nicht für Leistungen bezahlt werden, die das Internet kostenlos erledigt, sondern für den geleisteten Mehrwert; für Auswahl, redaktionelle Aufbereitung, Lektorat und Marketing.

Wir brauchen nicht mehr Leistungsschutzrechte, welche die Verbreitung von Wissen und Kultur einschränken, sondern weniger. Menschen werden immer schreiben, musizieren und Geschichten erzählen, sie werden immer neugierig ihre Umgebung beobachten und ihre Erkenntnisse aufzeichnen. Ein Geschäftsmodell, das allein auf der künstlichen Verknappung dieser Wissensgüter fußt, ist in der Tat bedroht.

Marion Goller ist Juristin und forscht über Urheberrecht, Patentrecht, Freie Lizenzen und die Wissensallmende. Mail: marion.goller@oabooks.de, Twitter: @MarionGoller.

 

1. Ein wichtiger Unterschied, den Anti-Piracy-Slogans wie „You wouldn’t steal a car“ völlig einebnen.
2. In diesem Text verwendete generische Maskulina sind dem Wortlaut des Gesetzes geschuldet.
3. Eine Ausnahme bildet hier das Schutzrecht des ausübenden Künstlers. Ausübende Künstler sind z.B. Sänger_innen oder Schauspieler_innen, die eigene Werke oder Werke anderer Personen für eine Aufnahme singen, musizieren, spielen oder darstellen sowie solche Werke öffentlich aufführen. Der Beitrag ausübender Künstler hat nach Ansicht des deutschen Gesetzgebers ebenfalls einen persönlichen Bezug, der in gewissem Maße Schutz verdient. So wird im UrhG ihr Recht auf Namensnennung garantiert und sie können eine Entstellung ihrer Arbeit verbieten.
4. Das Recht des Filmherstellers dient unter anderem dazu, diese Rechtehäufung etwas einzudämmen. Per Gesetz werden die Verwertungsrechte beteiligter Urheber, z.B. Regisseur_in, Drehbuchautor_in oder Komponist_in der Filmmusik, auf den Filmhersteller, d.h. üblicherweise auf die Produktionsfirma, übertragen.
5. Richtlinie 96/9/EG
6. Wer mehr wissen will, kann sich auf http://leistungsschutzrecht.info/ umsehen.
7. Der Deutsche Journalistenverband lehnt das Schutzrecht trotzdem ab, siehe https://www.djv.de/startseite/profil/der-djv/pressebereich-download/pressemitteilungen/detail/article/am-besten-abschaffen.html
8. Lesetipp: Jeremy Rifkin „The Zero Marginal Cost Society“

Verlage stehen im Dienste der AutorInnen. Oder: Warum ich mich für einen Selfpublishing-Verlag entschieden habe

Textproduktion ist harte Arbeit. Und ist diese erledigt, möchten WissenschaftlerInnen oftmals nichts mehr damit zu tun haben. Unter welchen Bedingungen der Text dann veröffentlicht wird, spielt so gut wie keine Rolle, geschweige denn irgendwelche Vertragsklauseln. Auch nicht, wenn die Dissertation nach Jahren des Denkens, Recherchierens und Schreibens endlich abgeschlossen ist. Es ist verständlich, dass WissenschaftlerInnen sich neben Lehre, Forschung, Drittmittelanträgen, Vorträgen und eben der Textproduktion und deren Publikation nicht auch noch um die Verhandlung der Publikationsbedingungen mit Verlagen kümmern wollen. (Doch wofür zermartert man sich jahrelang den Kopf, durchforstet Wälder von Artikeln und Büchern und schreibt sich die Finger wund?) Ist die Textproduktion endlich abgeschlossen, besteht der letzte Schritt dann in der Regel darin, einen Verlag mit möglichst hohem Ansehen – oder mit dem günstigsten Angebot – zu finden, der bereit ist, die Arbeit (gegen eine Gebühr) zu veröffentlichen.

Als ich den Vertrag des gewünschten Verlags in der Hand hielt, wurde mir jedoch bewusst, dass die Unterzeichnung des Vertrags doch nicht der allerletzte Schritt des Publikationsprozesses sein würde. Denn dass der Verlag das „ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung“ sowie die „ausschließlichen Nebenrechte“ (u.a. zum teilweisen Vorabdruck und Nachdruck, zur Vergabe von Lizenzen, zur Übersetzung in andere Sprachen und zur Verfilmung und Vertonung des Werks bekommen sollte), machte mich stutzig. Aus Sicht des Verlags leuchteten mir die Paragraphen zur unbeschränkten Rechteeinräumung zwar ein, schließlich verpflichtete dieser sich dazu, „das Werk zu vervielfältigen, zu verbreiten und dafür angemessen zu werben“, wofür ein gewisser Spielraum notwendig ist, doch warum sollte ich die ausschließlichen Verwertungs- und Nutzungsrechte an den Verlag übertragen? Noch dazu, wenn ich als Autorin weder am Absatz noch an der Verwertung der Nebenrechte beteiligt worden wäre bzw. werden darf. (Als drittmittelfinanzierte Mitarbeiterin hätte ich zwar einen Druckkostenzuschuss vom Forschungsprojekt bekommen, aber im Gegenzug dazu nichts an der Veröffentlichung verdienen dürfen, da meine Forschung durch „öffentliche Mittel“ gefördert wurde – was auch in der Auslegung des nach wie vor umstrittenen Zweitveröffentlichungsrecht bzw. Zweitverwertungsrechts entscheidend ist).

Mit meiner Dissertation Geld zu verdienen, war und ist allerdings ohnehin nicht mein Ziel. Mir ging und geht es vor allem um die möglichst große Verbreitung der Forschungsergebnisse. Die Einräumung des ausschließlichen Verwertungs- und Nutzungsrechts schränkt die Verbreitung ein. Sie verbietet zum Beispiel selbst eine nicht-kommerzielle Zweitveröffentlichung auf dem universitären Dokumentenserver. Open Access-Repositorien schlagen deshalb vor, einen entsprechenden Passus in den Verlagsvertrag aufzunehmen, sodass zumindest die jeweilige Institution (gegebenenfalls nach einer bestimmten Sperrfrist) das Recht hat, die Arbeit der Öffentlichkeit über den Dokumentenserver oder sonstiger Form frei zugänglich zu machen.

Dass Verlage sich weigern, diesen Passus in den Vertrag mit der Autorin aufzunehmen, ist verständlich, schließlich konkurriert die frei zugängliche Onlinefassung mit dem zu erwerbenden Buch. Allerdings ist der Einwand „größere Verbreitung = besseres Marketing = höhere, zumindest gleichbleibende Absatzzahlen“ ebenfalls berechtigt, wie Jeroen Sondervan von der Amsterdam University Press (die Mitglied im Open Access-Verbund OAPEN Library ist) auf einem Verlagspanel [Verlinkung wurde aufgrund einer veränderten URL von der Red. entfernt] der Post-Digital Scholar Conference erklärt.

Wie aber lassen sich die Wünsche von Autorin und Verlag vereinbaren? Welches Verhältnis besteht überhaupt zwischen UrheberInnen und VerwerterInnen? Zwar geht es sowohl dem Verlag als auch der Wissenschaftlerin um die größtmögliche Verbreitung eines Werkes, doch aus verschiedenen Gründen. Für den Verlag sind Absatzzahlen entscheidend, für die Autorin Rezensionen und Verweise. Bei einer Beteiligung von 0-5% am Gewinn von durchschnittlich 150-300 verkauften Büchern rechnen WissenschaftlerInnen ohnehin nicht mit einer hohen Provision und schon gar nicht mit einem Honorar. Eher kalkulieren sie mit der jährlichen Ausschüttung der Verwertungsgesellschaft Wort, die für die Veröffentlichung einer (gedruckten) Monographie einmalig etwa 800 Euro auszahlt.

Die VG Wort verwaltet die Einnahmen aus Urheberrechten, die aus der Einräumung des Vervielfältigungsrechts zum privaten Gebrauch hervorgehen, zum Beispiel Reprographieabgaben, die man beim Kauf eines Druckers oder Scanners zahlt, oder Bibliothekstantiemen. Jüngst ist die Verwertungsgesellschaft durch ein BGH-Urteil zur Verteilungspraxis in die Schlagzeilen geraten. Dem Urteil nach stehen allein den AutorInnen die Einnahmen zu, denn sie sind die UrheberInnen der Werke – und nicht die VerlegerInnen. Bisher hatte die VG Wort die Einnahmen zu gleichen Teilen an AutorInnen und Wissenschaftsverlage (in der Belletristik bekamen die Verlage 30% der Abgaben) ausgeschüttet und damit jahrelang rechtswidrig gehandelt. Nun hoffen Verlage auf ein Leistungsschutzrecht auf europäischer Ebene – absurderweise, wie Stefan Niggemeier erklärt.

„Verlage sind keine Urheber“, schreibt Julia Franck in der ZEIT. „Sie verdienen am ‚gedruckten‘ Wort, nicht am erdachten.“ Selbstverständlich sollen Verlage durch ihre verlegerische Leistung Geld verdienen. Doch worin besteht diese Leistung, wenn ich als Autorin selbst bei einem renommierten und profitablen Wissenschaftsverlag wie Palgrave Macmillan (wo die englische Übersetzung meiner Dissertation erscheint) Vorschläge zur Covergestaltung einreichen und ein sechsseitiges Marketingformular ausfüllen muss? Worin besteht die wirtschaftliche, technologische und organisatorische Leistung des Verlags, wenn ein druckfertiges Manuskript (aufgeteilt in einzelne Kapitel zwecks „eBook“-Vermarktung, sprich PDF-Verkauf) samt Rezensionsliste vorzulegen ist?

Die Suche nach einem geeigneten Verlag hat mich letztendlich dazu gebracht, die Dissertation selbst, d.h. bei dem Selfpublishing-Verlag tredition zu veröffentlichen. Für ein Print-on-Demand-Buch muss ich keinen „Druckkostenzuschuss“ zahlen. Stattdessen berechnet der Verlag eine Servicegebühr von 150 Euro für Vertrieb und ISBN-Vergabe. Oder verlangt eine Mindestabnahme von 35 Büchern. Das Buch erscheint im Verzeichnis der Deutschen Nationalbibliothek. Den Verkaufspreis kann man selbst festlegen, je nachdem wie hoch die Provision ausfallen soll. Und vor allem: Der Verlag erhält die nicht ausschließlichen Verwertungsrechte, d.h. „der Rechteinhaber bleibt berechtigt, das Werk selbst und durch Dritte neben tredition zu verwerten.“

Ob das Selfpublishing – sei es über einen Selfpublishing-Verlag, Blogs, Institutsseiten, persönliche Websites oder Fachrepositorien – die Zukunft wissenschaftlichen Publizierens ist, lässt sich schwer sagen. Noch greifen die meisten WissenschaftlerInnen auf herkömmliche Publikationsformate zurück und veröffentlichen traditionell bei einem Verlag. Fest steht allerdings, dass Verlage auch im Zuge des digitalen Wandels einen Mehrwert bieten müssen, damit sich AutorInnen gerne für eine Zusammenarbeit entscheiden. Verlage stehen im Dienste der AutorInnen. Ohne sie gäbe es keine Verlage.

Elsevier kauft Preprint-Server SSRN – und wird zum Datenkönig

Das Social Science Research Network (SSRN) ist eines der größten Open Access-Repositorien weltweit. Dass ausgerechnet Verlagsgigant Elsevier diese Plattform jetzt aufgekauft hat, verdeutlicht, dass „offenen“, „kostenfreien“, jedoch profitorientierten Plattformen wie Academia.edu oder ResearchGate mit größter Skepsis zu begegnen ist. Versprechen auf größtmögliche Sichtbarkeit von Forschungsergebnissen und uneingeschränkten Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten verdecken langfristige Ziele und Geschäftsmodelle der Unternehmen, die hinter den Plattformen stehen. Anders als Wissenschaftsverlage, die von den AutorInnen ein article processing charge (APC) verlangen, um Inhalte kostenfrei zugänglich zu machen und trotzdem daran zu verdienen, geht es privatwirtschaftlichen Publikationsplattformen um Daten. Es geht um Daten, die besagen, welche Artikel wo welchen Impact haben. Es geht um Nutzerprofile und Nutzerverhalten. Wie und zu welchem Zwecke diese Informationen genutzt werden (Werbung, Datenhandel, Überwachung) ist unklar. Genauso unklar ist, welche Daten überhaupt generiert werden und wie.

„Academia.edu has a parastical relationship to the public education system, in that these academics are labouring for it for free to help build its privately-owned for-profit platform by providing the aggregated input, data and attention value“, schreibt Gary Hall, Professor für Medienwissenschaft an der Coventry University, in seinem Post „Does Academia.edu Mean Open Access is Becoming Irrelevant?“. Und weiter: „We can thus see that posting on Academia.edu is not ethically and politically equivalent to making research available using an institutional open access repository at all.“ Kathleen Fitzpatrick, Medienwissenschaftlerin in den Digital Humanities, fügt in ihrem Post „Academia, Not Edu“ hinzu: „Everything what‘s wrong with Facebook is wrong with Academia.edu, at least just up under the surface, and so perhaps we should think twice before committing our professional lives to it“.

Es nichts Neues ist, dass auch wissenschaftliche Datenplattformen ein immer lukrativeres Geschäft versprechen. So kaufte Elsevier 2013 die Forschungsplattform Mendeley für einen Millionenbetrag im höheren zweistelligen Bereich von seinen drei deutschen Gründern ab. Kurz darauf forderte Elsevier in etwa 2.800 Abmahnungen die NutzerInnen des Konkurrenten Academia.edu auf, Artikel, die das Copyright verletzten, von der Plattform zu löschen.

Dennoch hat die Übernahme von SSRN durch Elsevier für große Verunsicherung und Aufregung gesorgt. „It’s like if Monsanto bought out your favorite organic farm co-op“, schreibt Cory Doctorow von Boing Boing. Eine der Hauptsorgen ist, was mit den Artikeln passiert, die auf SSRN gehostet werden. Was passiert etwa, wenn Elsevier den SSRN-Server zumacht, um Universitäten, die ihre Zeitschriftenabonnements von Elsevier aufgrund der enormen Preise und missliebigen Bezugsbedingungen gekündigt haben, dazu zwingen, ihre Kündigung zurückzuziehen, damit sie wieder Zugriff auf (ihre eigenen) Forschungsergebnisse haben?

Vielleicht geht es Elsevier auch darum, seine Monopolstellung gegenüber seiner Konkurrenten Springer und Wiley im wissenschaftlichen Zeitschriftenmarkt zu verteidigen. Doch was der eigentliche Gewinn ist: Daten. Wertvolle – für die NutzerInnen unbekannte, unzugängliche – Daten, die man –  wie den Impact Factor des Medienkonzerns Thomson Reuters – vermarkten kann. Christopher M. Kelty, Professor für Informationswissenschaft an der University of California, erklärt in seinem Beitrag „It’s the Data, Stupid. What Elsevier’s Purchase of SSRN also means“ auf savageminds.org:

SSRN represents better data about the impact of social science research than any single journal, or any publisher‘s data (even Elsevier, with its hundreds of social sciences journals), because it has been built on the good will, apparent neutrality, and level playing field of an open access repository. Until Tuesday May 17, it was not tied to any particular publishing conglomerate or metrics company, and so its data represented social science research with a fidelity to reality that is expensive and hard to otherwise achieve.

Doch bitte jetzt nicht in Schockstarre verfallen! Die Bedeutung dieser Daten – und damit der For-Profit-Plattformen – sinkt, wenn wir die Evaluation von wissenschaftlicher Arbeit anhand von quantitativen Kriterien an sich hinterfragen. Wenn wir die Aussagekraft von Impact Factor, Downloads und Publikationslisten kritisch prüfen. Wenn die Leistung von WissenschaftlerInnen stattdessen anhand von Qualität, Innovation und Engagement bewertet wird.

Es ist höchste Zeit, dass die verschiedenen Disziplinen Alternativen zu Plattformen wie Academia.edu und ResearchGate schaffen und ihre eigenen institutsübergreifenden Non-Profit-Repositorien à la ArXiv.org aufbauen, die durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und Fördergelder langfristig finanziert werden. SSRN dient dafür ja jetzt leider nicht mehr als Beispiel…

„Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Oder: Wie kann Open Access eigentlich finanziert werden?

Wenn Texte kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, lassen sie sich nicht mehr verkaufen. Wie aber kann man dann die Produktion von Texten (das Denken, das Schreiben, das Lektorieren, das Korrigieren, die Formatierung, den Satz bzw. die Programmierung) und die Zugänglichkeit zu Texten, die bisher vor allem Bibliotheken gewährleisten, finanzieren?

Bei digitalen Texten halten sich die Kosten für die Bereitstellung im Rahmen. Dank WordPress muss man Websites nicht mehr aufwendig programmieren. Vorlagen kann man entsprechend anpassen, nachdem man sich in die Grundlagen von HTML und CSS reingefuchst hat. Selbst ohne jegliche Programmierkenntnisse kann man einen Blog oder eine persönliche Website aufsetzen. Und auch die Serverkosten sind überschaubar. Finanzieller und persönlicher Aufwand für die Schaffung einer digitalen Infrastruktur sind also überschaubar. Doch die Textproduktion ist nach wie vor ein aufwendiger und mühsamer Prozess, um den man nicht herumkommt. Und der will entlohnt werden. Doch wie, wenn man seine Texte am liebsten kostenfrei zur Verfügung stellen möchte, damit sie möglichst viele lesen können?

In den Geisteswissenschaften rechnen WissenschaftlerInnen ohnehin nicht damit, ein Honorar für ihre Texte zu bekommen. Denn die Texte selbst sind die Währung. Je länger die Publikationsliste, desto größer der Marktwert. Deshalb sind in Deutschland AutorInnen sogar bereit, einem Verlag zwischen 2.000 und 8.000 Euro (je nach Reputation des Verlags) zu bezahlen, damit dieser ihre Monographie veröffentlicht. Wenn ihre Publikation durch einen „Druckkostenzuschuss“ eines Drittmittelprojekts finanziert wird, dürfen sie selbst nichts an dem Buchverkauf verdienen. Eine entsprechende Honorar-Verzichtserklärung muss man dann unterschreiben. Bei einer durchschnittlichen Auflage von 300 Stück pro Dissertation (die man ja in Deutschland veröffentlichen muss, um seine Promotion abzuschließen) stellen die Druckkostenzuschüsse für die Verlage eine wichtige Einnahmequelle dar. Je niedriger der angesetzte Verkaufspreis des Buches ist (in der Regel zwischen 25 und 65 Euro), desto größer die Rolle des Druckkostenzuschusses in der Verlagskalkulation. Darüber hinaus können Verlage mit der Abnahme einer gewissen Menge an Büchern durch Bibliotheken rechnen. Verlage in den USA verkaufen zunächst die erste Auflage, die als Hardcover und damit zu einem höheren Preis von bis zu $100 erscheint, an Bibliotheken, bevor sie eine günstigere Paperback-Version (deren Preis allerdings nicht immer weit unter dem Hardcover-Preis liegt) herausbringen.

Mit diesen Ausführungen möchte ich keinesfalls Stimmung gegen Verlage machen, wie dies manche Open Access-Verfechter tun, sondern schlichtweg darauf aufmerksam machen, wie das wissenschaftliche Publikationswesen funktioniert. Denn gerade im digitalen Zeitalter, wo das Selbstpublizieren ein Kinderspiel geworden ist, gibt es für WissenschaftlerInnen viele Alternativen zum herkömmlichen Publikationssystem, die sie nutzen könnten, wenn sie wollten. Den meisten WissenschaftlerInnen, mit denen ich gesprochen habe, als ich einen digitalen Wissenschaftsverlag gründen wollte, liegt das gedruckte Buch jedoch so sehr am Herzen, dass sie in der digitalen Publikation vor allem eine Abwertung ihrer Arbeit sehen würden. Viele befürchten zudem, dass eine Veröffentlichung bei einem (noch) unbekannten Verlag ihrer Karriere schaden könnte. Vielleicht zu recht. Manche sind grundsätzlich gegen Open Access, da für sie der Grundsatz gilt „Was nichts kostet, ist nichts wert.“ Damit komme ich zum eigentlichen Thema dieses Posts: Wie lässt sich Open Access eigentlich finanzieren?

Wie bereits erwähnt, übernehmen bisher vor allem AutorInnen bzw. die sie fördernden Institutionen die Gebühr für den kostenfreien Zugang, die APC (article processing charge). So muss man zum Beispiel 2.150 Euro bezahlen, um einen Artikel in einer Zeitschrift der britischen Verlagsgruppe Taylor & Francis open access zu stellen und ca. 12.600 Euro, um seine Monographie beim geistes- und sozialwissenschaftlichen Verlag Routledge, der zu Taylor & Francis dazugehört, open access zu veröffentlichen. Das Ziel, diese Gebühren gerecht zu verteilen und nicht allein auf die AutorInnen abzuwälzen, haben sich Projekte wie Knowledge Unlatched und Luminos auf die Fahnen geschrieben. Bei Knowledge Unlatched teilen sich Bibliotheken (die ohnehin die Bücher kaufen würden) die von den Verlagen verlangte Open Access-Gebühr. Luminos, ein Projekt der University of California Press, möchte, dass alle, die von der Publikation profitieren (AutorInnen, Institutionen, Bibliotheken und Verlage) für die Produktion und Verbreitung aufkommen.

Dass auch die LeserInnen für den kostenfreien Zugang bezahlen, scheint ein zu großes Paradox. Doch warum sollen nicht tatsächlich alle, die Nutzen aus den Texten ziehen, dafür bezahlen (können)? Die Musikerin Amanda Palmer bringt es in ihrem TED-Talk „The Art of Asking“ auf den Punkt: „Don‘t make people pay. Let them.“ Nachdem ihr Label sie nicht länger unterstützen wollte, da sie ‚nur‘ 25.000 CDs verkaufte, hat sie für ihre nächste Plattenproduktion eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Diese Aktion brachte ihr $1.192.793 ein – von insgesamt fast 25.000 SpenderInnen. (Danke, Marion Goller, für diesen Hinweis.)

Neben Crowdfunding (wodurch inzwischen ganze Forschungsprojekte unterstützt werden sollen) hat das Internet weitere Finanzierungsmodelle hervorgebracht, die sich auch für die Produktion wissenschaftlicher Texte eignen könnten, z.B. maßgeschneiderte Werbung. Doch viele Menschen stehen Werbung prinzipiell skeptisch gegenüber. Zudem empfinden sie es als starke Beeinträchtigung des Lesegenusses (Stichwort Adblocker), der bei Online-Publikationen ja ohnehin gefährdet scheint. Werbung stellt also nicht die die beste Finanzierungsweise dar, wenn es um wissenschaftliche Texte geht. Da erscheint mir die Möglichkeit des Micropayments, der Bezahlung von Kleinstbeträgen, sinnvoller. Das Problem bei der Nutzung von Online-Inhalten ist meiner Meinung nach weniger die von KulturpessimistInnen verdammte „Umsonstkultur“, sondern der Mangel an unkomplizierten Bezahlmöglichkeiten (neben der durch das DRM eingeschränkten Nutzung versteht sich, doch das ist nicht Thema dieses Posts). Muss man immer wieder seine Kontaktdaten und Kreditkartennummer in Bezahlmasken eingeben, ist das nicht nur zeitaufwendig, sondern auch riskant und heikel. Vielleicht ist dies unter anderem der Grund, warum Matthew Butterick mit seiner tollen Website über Typographie (wie bereits in einem früheren Post erwähnt) trotz eines implementierten Zahlsystems nur 1 von 1000 LeserInnen dazu bringt, eine Überweisung vorzunehmen (ich habe trotzdem eine kleine Summe überwiesen, nicht weil ich musste, sondern weil der Autor mich darum gebeten hat, s. Amanda Palmer).

Der Journalistin Antje Schrupp wäre Werbung viel lieber als das Geld von LeserInnen, müsste sie von ihrem Blog „Aus Liebe zur Freiheit. Notizen zur Arbeit der sexuellen Differenz“ leben. Denn durch Werbung wäre sie freier beim Schreiben als wenn sie in der Schuld ihrer LeserInnen stünde. Letztendlich verdient sie ihren Lebensunterhalt allerdings durch das Vermitteln der Gedanken, die man kostenlos auf ihrem Blog lesen kann. So steigern Publikationen auch ihren Marktwert und damit die Nachfrage nach ihren (bezahlten) Vermittlungstätigkeiten (Vorträge, Podiumsdiskussionen etc.). Nicht zu vergessen sei allerdings die Aufmerksamkeit, die ihr die LeserInnen entgegenbrächten, in Form von Klicks und Kommentaren. Das Lesen sei ja ebenfalls eine Investition, gar ein Geschenk, weil freiwillig.

Um seiner Wertschätzung im Internet Ausdruck zu verleihen, gibt es neben Kommentaren und Verlinkungen, Retweets und Likes auch den Flattr-Button, über den man monatlich eine selbst festgelegte Spendensumme an verschiedene Projekte verteilen kann, und das Bezahlsystem PayPal, das eine relativ einfache Überweisung erlaubt. (Flattr-Gründer Peter Sunde will nun übrigens in Kooperation mit AdBlock Plus ein automatisches Spendensystem implementieren wie der Guardian berichtet.) Der Digitalverlag mikrotext setzt zum Beispiel – wie Zeitungen – aufs Abo, das wiederum bei Zeitschriften wie The Economist im Grunde als Flatrate funktioniert. Ich werde Flattr-Button und PayPal mal ausprobieren, insbesondere letzteres, damit man mein Print-on-demand-Buch einfacher erwerben kann. Selbstverständlich freue auch ich mich über die Wertschätzung meiner Arbeit – in welcher Form auch immer. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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