Vom Verlegen zum Vermitteln – Die Arbeit der Musikverlage und ihre Rolle in der GEMA

Neben Komponist:innen und Textdichter:innen hat die GEMA noch eine dritte Kategorie von Mitgliedern, nämlich die Musikverlage.1 Über diese wird vergleichsweise wenig berichtet, dabei spielen sie bei der Verteilung der Einnahmen im Musikgeschäft eine wichtige Rolle.

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe zu den ökonomischen und rechtlichen Bedingungen der Musikindustrie. Während ich in Teil 1 die Aufgaben der GEMA darlege, will ich in diesem zweiten Beitrag erläutern, inwieweit sich das Tätigkeitsfeld der Musikverlage von dem der Textverlage unterscheidet. Dabei fällt vor allem auf, dass die Musikverlage gar nicht aufgrund von traditioneller Verlagsarbeit GEMA-Mitglieder sind. Herausgabe und Vertrieb gedruckter Noten macht bei vielen Musikverlagen nicht mehr den Großteil der Arbeit aus. Vielmehr vermitteln sie – wie Agenturen – Musikwerke an Verwerter, also an Labels und Bands.

Musikverlage als Herausgeber:innen von Noten
Musikverlage verlegen Musik in Form von Noten oder, wie der Gesetzgeber es nennt, „graphische Aufzeichnungen von Werken der Musik”. Auch die GEMA-Satzung spiegelt den Fokus auf die Herausgabe von Noten wieder. Als Verlagsarbeit anerkannt wird gemäß § 6 nur „die handelsübliche Herstellung und der handelsübliche Vertrieb von Noten“. Nur wer in diesem Feld tätig ist, kann als Musikverlag außerordentliches oder ordentliches Mitglied werden. Hinsichtlich dieser Tätigkeit haben sich die Verlage mit den Musikurheber:innen in der VG Musikedition zusammengeschlossen. Die GEMA ist also nicht zuständig für die Verwertung von Noten. Sie macht aber für die VG Musikedition das Inkasso.

Grundsätzlich darf man Werke in Deutschland gemäß § 53 UrhG zum privaten Gebrauch vervielfältigen. Noten sind aber von dieser Regelung zur „Privatkopie“ nahezu vollständig ausgenommen. An der Pauschalabgabe, die auf Geräte und Leermedien (z.B. CD-Rohlinge, USB-Sticks oder Kopierpapier) erhoben wird, ist die VG Musikedition daher kaum beteiligt. Sie schließt vor allem Pauschalverträge mit öffentlichen Trägern ab.2 Wer davon nicht erfasst ist, muss einen Einzelvertrag schließen.

Im Jahr 2010 beauftragte die VG Musikedition die GEMA damit, an 36.000 Kindergärten und KiTas Aufforderungen zum Abschluss eines solchen Lizenzvertrages zu verschicken, damit diese nicht länger urheberrechtswidrig Noten und Texte kopieren. In den Medien wurde dann teilweise fehlerhaft berichtet, die GEMA wollte Gebühren für das reine Singen verlangen.3 Ob man die Durchsetzung des Urheberrechts gegenüber Kindergärten und KiTas für übertrieben hält oder nicht, ist Ansichtssache. Die VG Musikedition vertritt hier jedoch nur die Interessen ihrer Mitglieder.

Musikverlage als Agenten der Urheber:innen
Des Weiteren vermitteln Verlage die Musik der bei ihnen unter Vertrag stehenden Urheber:innen an Verwerter, vor allem an Labels und Interpret:innen. Das ist für solche Komponist:innen und Texter:innen sinnvoll, die ihre Musik nicht selbst spielen. Sie sind meistens auf die Expertise eines Verlags angewiesen, da sie selbst nicht die nötigen Verbindungen haben, um Verwerter an diesen Werken zu interessieren. Die Verlage fungieren für sie als Agenten.

Bands, die eigene Songs spielen, schicken ihre Demo-Tapes üblicherweise direkt zum Label. Da an die drei Major Labels – Sony, Universal und Warner – aber auch jeweils Musikverlage angeschlossen sind – nämlich Sony/ATV, Universal Music Publishing und Warner/Chappell –, machen sie den Abschluss eines Verlagsvertrags zur Bedingung für den record deal. Wer einen Plattenvertrag für selbst komponierte Songs unterschreibt, muss dann den Verlagsvertrag gleich mitunterzeichnen. Nicht allen Bands ist dabei klar, dass sie so zwischen 30% und 40% ihrer Einnahmen (aus ihrer Musikurheberschaft, nicht aus den Aufnahmen) für Agenten-Tätigkeiten abgeben. Diese sind aufgrund des bereits geschlossenen Plattenvertrags gar nicht mehr nötig. Der Verlag muss für die frisch geschriebenen Songs weder eine Band suchen, die sie spielt, noch ein Label, das sie aufnimmt. Beides gibt es schon. Sind die Songs einmal produziert, übernimmt das Label das Marketing für die Aufnahmen.4

Da aber viele Komponist:innen und Texter:innen eben nicht auch Interpret:innen sind, stehen die meisten Musikurheber:innen bei einem Verlag unter Vertrag, der sich darum kümmert, Interpret:innen und Labels für die Stücke zu finden. Der Verlag übernimmt außerdem die Anmeldung der Werke bei der GEMA, die ziemlich kompliziert sein kann. Ist ein Werk als „verlegt“ gemeldet, schüttet die GEMA einen Teil der darauf entfallenden Einnahmen an den Verlag aus statt an die Urheber:innen. Laut Verteilungsplan erhalten Verlage 4/12 der Einnahmen aus dem Aufführungs- und Senderecht, also durch Live-Auftritte und Radio-Ausstrahlungen, und 40% der Einnahmen aus den Aufnahmen auf Tonträger und deren Vervielfältigung. Die Einnahmen aus den gesetzlichen Vergütungen bzgl. der Privatkopie und der Bibliothekstantieme werden nach verschiedenen Schlüsseln verteilt, was sich aber in demselben Rahmen bewegt.

Unterschiede in der Verwertungskette bei Schriftwerken und Musikwerken
Diese Agentur-Tätigkeiten geben Musikverlagen in der Verwertungskette eine andere Rolle als Verlage von Schriftwerken sie ausüben. Bei Schriftwerken sind die Verlage die primären Verwerter. Es müssen nicht noch weitere Stellen hinzugeschaltet werden, um eine direkte Verwertung zu ermöglichen. Nur für gesetzliche Vergütungen aus der Zweitverwertung von Texten, d.h. für die Geräte- und Leermedienabgabe und die Bibliothekstantieme, ist also überhaupt eine pauschale Abrechnung durch eine Verwertungsgesellschaft nötig, nämlich durch die VG Wort. Diese übernimmt keine vertragliche Wahrnehmung von Nutzungsrechten; das machen die Urheber:innen oder – häufiger – die Verlage selbst.

Anders sieht es bei Musikwerken aus. Das Tätigkeitsfeld der Musikverlage ist viel geringer, was auch an der GEMA liegt. Diese sorgt – wie die VG Wort – für die Geltendmachung der Ansprüche auf gesetzliche Vergütung. Wie bereits in Teil 1 dieser Reihe ausgeführt, nimmt die GEMA auch vertragliche Ansprüche wahr. Die Erstverwertung von Musikwerken ist deren Aufführung und Aufnahme auf Tonträger. Für beides braucht man keinen Verlag. Musikurheber:innen können ihre eigenen Werke auch unverlegt aufführen. Und für die Herstellung einer mechanischen Aufnahme ist ein Label nötig, aber kein Verlag. Ein wichtiger Teil der Zweitverwertung ist die anschließende Sendung der Aufnahme im Radio oder ihre Aufführung in Clubs und Kneipen. Die Verhandlungen für die Vergütung all dieser Nutzungen mit den jeweiligen Verwertern übernimmt die GEMA. Dank ihr kann also die Erst- und Zweitverwertung größtenteils ohne Verlag ablaufen.

In den USA sind die Musikverlage mächtiger. Dort übernehmen die Verwertungsgesellschaften ASCAP, BMI und SESAC nur die Wahrnehmung aus dem Aufführungs- und Senderecht.5 Die Lizenzierung der Vervielfältigungsrechte an die Labels – das Kerngeschäft – erfolgt ohne Verwertungsgesellschaft. Daher brauchen die meisten Urheber:innen in den USA die Verlage nicht nur zu Promotionszwecken, sondern auch für die Verhandlungen über das Honorar.6 Auch die Beteiligung der Verlage an den Einnahmen ist nicht fest geregelt. Traditionell zahlen sie den Urheber:innen einen Vorschuss und lassen sich dafür die Rechte an den während der Vertragslaufzeit entstehenden Musikwerken komplett abtreten. Bis der Vorschuss wieder eingenommen ist, kassieren sie 100% der Erlöse aus der Verwertung. Danach behalten sie – je nach Vertrag – zwischen 20% und 50% der Einnahmen – und 100% der Rechte!

Allein für den Verkauf von Noten sind auch in Deutschland die Musikverlage die primären Verwerter. Für die Geltendmachung der dafür anfallenden gesetzlichen Vergütungen ist aber nicht die GEMA zuständig, sondern die VG Musikedition.

Anteil der Verlage an der Solidargemeinschaft
Angesichts all dieser Umstände drängt sich eine Frage auf: Warum sind die Musikverlage überhaupt Mitglieder der GEMA? Könnten sie nicht bessere Raten für sich aushandeln, wenn sie – wie in den USA – Lizenzen für die Aufnahme auf Tonträger selbst vergeben würden? Die Antwort könnte sein, dass damals, als dieses Verwertungs- und Verteilungssystem geschaffen wurde, der Musikmarkt noch nicht so stark konsolidiert war wie heute. Mit Sicherheit gab es keine drei Major-Verlage, die mehr als die Hälfte der Musikverkäufe abdeckten. Für die Verlage war es also besser, sich mit den Urheber:innen zur heute viel beschworenen Solidargemeinschaft GEMA zusammenzutun, um gegenüber anderen Verwertern geschlossen aufzutreten – und dafür eine feste Beteiligung an den Einnahmen zu akzeptieren.

Als wegen der Verbreitung von Kopiergeräten die VG Wort gegründet wurde, war außerdem für Schriftwerke die Veröffentlichung durch einen Verlag die einzig mögliche Direktverwertung. Es gab weder selfpublishing noch Blogs; daher waren zu dieser Zeit auch nahezu alle Werke verlegt. Im Musikgeschäft war dagegen vor allem Selbstaufführer:innen die Verwertung der eigenen Musik ohne Verlag schon immer möglich. Wer Lieder für die eigene Band schreibt, kann diese ohne Verlag live aufführen. Wer zusätzlich noch Kontakt zu einem Label hat, kann auch ohne Verlag Aufnahmen herstellen. Die GEMA erlaubt daher die Meldung von Werken als unverlegt. Dann erhalten die Urheber:innen 100% der Ausschüttung.

Außerdem ist es auch bei verlegten Werken möglich, im Verlagsvertrag von den Raten des Verteilungsplans abzuweichen. Diese Abweichung müssen die Vertragsparteien, also Urheber:in und Verlag, der GEMA gegenüber jedoch anzeigen. Ohne eine solche Mitteilung geht die GEMA bei verlegten Werken immer davon aus, dass die Raten aus ihrem Verteilungsplan gelten, und schüttet entsprechend aus.

Gegen diese automatische Ausschüttung klagten der Musiker Bruno Kramm und sein Texterkollege Stefan Ackermann. Zuvor hatte bereits der Rechtswissenschaftler Martin Vogel aus ähnlichen Gründen gegen die VG Wort geklagt.7 Wie die daraus resultierenden Verfahren und Urteile nicht nur die konkreten Verteilungspläne, sondern die gemeinsame Vertretung von Urheber:innen und Verlagen in den Verwertungsgesellschaften insgesamt in Frage stellen, erläutere ich im nächsten Beitrag.

Marion Goller ist Juristin und forscht über Urheberrecht, Patentrecht, Freie Lizenzen und die Wissensallmende. Seit September 2016 ist sie Stipendiatin im Fellow-Programm „Freies Wissen“ des Wikimedia Deutschland e.V. und des Stifterverbands. Mail: marion.goller@oabooks.de, Twitter: @MarionGoller.

 


1. Um ordentliches Mitglied zu werden, muss ein Verlag gemäß § 7 der Satzung fünf Jahre lang mindestens 75.000 EUR von der GEMA bezogen haben. Wie bei den Urheber:innen ist auch hier also das Stimmrecht den erfolgreichsten vorbehalten.

2. Hinsichtlich der Kopien von Notenblättern an allgemein bildenden Schulen ist die VG Musikedition an dem Pauschalvertrag beteiligt, den die Kultusministerkonferenz der Länder mit den Verwertungsgesellschaften und den Schulbuchverlagen geschlossen hat. Andernfalls würden wahrscheinlich nahezu alle Musiklehrer:innen der Bundesrepublik mit mindestens einem Fuß in der Strafbarkeit stehen.

3. Die Überschrift „Kitas sollen für‘s singen zahlen“ war zwar falsch, erfreute sich aber großer Beliebtheit.

4. Schon 2008 schrieb Helienne Lindvall im Guardian darüber, dass die Verlage, um ihr Risiko zu minimieren, am liebsten nur noch solche Urheber:innen zeichnen, die auch Interpret:innen sind, also genau diejenigen, die einen Verlag am wenigsten brauchen.

5. Die American Society of Composers, die Broadcast Music, Inc. und die Authors and Publishers Society of European Stage Authors and Composers, die unter diesem Namen gegründet wurde, heute aber nur noch als SESAC firmiert, machen in den USA ähnliche Arbeit wie die GEMA.

6. Älterer, aber sehr aufschlussreicher Longread unter http://www.soundonsound.com/music-business/music-publishing

7. Bei der VG Wort sind nahezu alle Schriftwerke als verlegt gemeldet; eine moderne Ausnahme sind Webseiten. Sie schüttete daher bislang stets einen festen Anteil an die Verlage aus. Die gesetzlichen Vergütungen, für welche die VG Wort zuständig ist, stehen aber nach dem Wortlaut des UrhG und der einschlägigen EU-Richtlinie allein den Urheber:innen zu. Daher klagte Martin Vogel gegen diese Verteilung.